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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 12 (Septemberheft 1932)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch ; zweites Stück
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0869
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zählcrr so guk wre sechzig und mehr, und unbeslinrmbar war auch der
Ausdruck sernes stemern unbewegten Gesichtes, in welchem sich Kühnheit und
List, Stolz, Trauer und Grausamkeit vermischten.

Seine Erscheinung steigerte die ausgelassene Heiterkeit meiner Landsleute ins
Ilngemessene. Sie wetteiserten in scherzhasten oder doch scherzhast gemeinten
Zurufen, nannten ihn einen alten Kümmeltürken und Haremswächter, eiuen
Eunuchen und persischen Wallach, riefen ihn Ali und Mohammed, und da
er zu alledem unbewegter Miene und schweigend blieb und nichts zu ver-
stehen schien, auch getrost einen SpiHbuben uud verdammten Gauner.

Zn der Tat schien der WortschaH, mit dem er seine Ware anzupreisen wußte,
nur gering. „ltlulu", ries er, den Tisch umkreisend und sich sein Opser er-
sehend, „Ulululu, Mammi, Pappi, bankerotto, kaputt!" Plötzlich blieb er
dann neben einem aus der Runde steheu, riß blihschnell einen der Teppiche
von der Achsel und entsaltete ihn, wobei er mit der flachen Hand aus das
Gewebe klopste und sein „Mammi, Pappi" wiederholte. Fast jedesmal
verstummte dann der Angeredete ganz plötzlich, als ginge nun doch eine ge-
heime Macht von dem Fremden aus, der nur schwer zu widerstehen war,
und sah mit betretenem Lächeln krampshast von dem Teppich sort, als sei
der Kaus aus keine andere Weise zu vermeiden. Die übrigen indessen weide-
ten sich an seiner Verlegenheit. und sragten an seiner Statt den Fremden
nach dem Preis seiner Ware, woraus dieser still das Zehnsache dessen
nannte, was der Teppich wirklich wert sein mochte. Eine Weile stand er
dann noch, von Hohngeschrei umschallt und von immer derberen Beschimp-
sungen, ruhig wartend neben seinem Opfer, klappte endlich den Teppich
wieder zusammen, murmelte sein bankerotto kaputt und trat neben den
Nachsten.

Vielleicht hatte er aber längst bemerkt, wie in der Ehefrau eines älteren,
ehrbar und gutmütig aussehenden Weidmanns doch ein Gelüsten nach seiner
Ware ausgegangen war. Nsben diese trat er ganz zuleht, ein besonders buntes
Stück ausschlagend.

„Ulululu", murmelte er sast geringschähig, als liege ihm überhaupt nichts
mehr am Abschlusse eines Geschästes, und als rechne er auch gar nicht damit.
„IÄchts zu machen, zieh nur ab, alter Gauner," sagte der Weidmann, „solche
Teppiche machen wir in ChenmiH selber und billiger." Indessen vermochte
seine Frau ihr Gelüste noch uicht ganz zu bezähmen. Was er denn kosten
solle, ries sie mit überlauter Stimme, denn sie war osfenbar der Meinung,
daß eine sremde Sprache geschrieu immerhin besser §u verstehen sei als
gesprochen.

„Dreihundert Franki sür Mammi," sagte der Händler wie nebenbei.
„Was? Dreihundert Frauken, du Räuber?" schrie der Weidmaun erbost,
„ich sage dreißig, und keinen Groschen mehr sür deinen Schund!"
„Lllululu," bestätigte der Räuber, „dreißig sür Mammi!", saltete den Teppich
sauber zusammen und legte ihr ihn in den Schoß. Ilnter dem Iubelgeschrei
der andern zog der Weidmann seine Briestasche.

„Was gesagt iß, ist noch immer gesagt, meine Herren," rief er bleich vor
Wnt, zahlte die dreißig Franken, zahlte auch dem Kellner und verließ von
Mammi gefolgt, die den Teppich trug, den SchauplaH des Handels.

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