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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 12 (Septemberheft 1932)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch ; zweites Stück
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0868

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Er aber verzieh uns und stellte uns dem Kömg David vor und den Propheten,
und da gab es denn eine Szene von unsäglicher HerzensprachL, auf Stnbe
neunzehn, unter den blechernen Monden der PeLroleumlampen. Ia, gewiß
haLLe auch Kohnstamm solche Träume, nnd gewiß waren sie vergeblich ge-
wesen. Viel ZeiL war inzwischen vergangen, und die Kriegssreiwilligen
christlicher und die PropheLen jüdischer NmLion waren einander leider nichL
vorgestellL worden, denn Kohnstamm und die meißen aus jener Stube miL
ihm waren in Frankreich gefallen, — wohl auch vergeblich, wie es scheinen
konnLe, wenn auch niemals umsonst. Und doch lebLen sie noch, lebLen alle,
solange ich selber und mancher andere noch leben würde, das war gewiß,
oder wo kamen sie sonst her, hier in den Gassen von Lugano, dreizehn,
vierzehn Zahre hernach, im Lärm und LichLerpuH einer ganz anderen WelL,
da doch niemand sie gerusen haLLe?

Darüber aber Lrasen verLrauLe Klänge mein Ohr und zogen mich in das
GegenwärLige zurück. Vor einem Bierlokal, in welchem DorLmunder und
Münchener Bier cmsgeschänkL wurde, saß eine ganze GesellschasL meiner
LandsleuLe. Ihrer MundarL nach, deren sie sich, vielleichL in ihrer Freude
über das heimische GeLränk, eLwas lärmend bedienLen, waren es MiLLel-
deuLsche, Hallenser vielleichL, oder Magdeburger, wenngleich sie in ihrer
Reisekleidnng bayerische TrachLenstücke als besonders nüHlich oder schmuck
bevorzugt haLLen. Einige Lrugen jene weißbeknopsLen Leinenjacken, die mangels
eines FuLLers ohnehin niemals sihen können, und deren hestiges Blau zu
dem Forstgrün ihrer Lodenhosen und zu den Stärkekragen mit den umgeboge-
nen Ecken daran nichL besonders glücklich ließen. Lluch der winzige Geisbuben-
huL miL der steilen SpiHe, der verwegen herunLergestellLen Krempe und allerlei
bergsteigerischen Emblemen daran wollLe zu manchem mehr guLmüLigen als
kühnen GesichL darunLer nichL rechL passen. Llndere wieder haLLen eine durchaus
weidmännische Kleidung gewählL, grünbraun Rock und Hemde, und zeigten
an ihren HuLbändern und UhrkeLLen vielerlei jägerischen Schmnck, Hirsch-
grandeln und Eberzähne, Spielhahnsedern, GamsbärLe und die Borsten
des wehrhasLen Ebers in Silber gefaßL. Zwischen den Knien aber hielLen
sie derbe SLecken aus Eichenholz, ofL miL Erinnerungsmarken ans weißem
Blech über und über beschlagen, was ihnen das Ansehen von Ehrenwafsen
verlieh.

Ihren Tisch aber umkreiste ein Mensch in einer ganz anderen, aber nichL
weniger wunderlichen Ansmachung. Er mochLe ein LevanLiner sein oder ein
Marokkaner. Er haLLe ein Paar überweiLe Plnderhosen von Lürkischem SchniLL
an den Beinen, um die Hüsken schlang sich ihm eine seuerrote Leibbinde
in vielsachen Windungen, eine 2lrL von Bolerojäckchen, ärmellos aus schwar-
zem, silberbesternten SammeL, schmückLe den Oberkörper, und auf dem Kops
Lrug er einen SkipeLarensez. Indessen haLLe er diese Llusrüstung durch einen
Umlegekragen und ein Vorhemdchen aus abwaschbarem Gummi vervollstän-
digL, und an den Füßen sührte er ein Paar riesige Zugstiesel miL heraiw-
hängenden Strippen miL sich, über denen sich die sarbensrohen Ringel von
ein Paar Radlerstrümpsen, gleichsalls abendländischer Herkunst, zeigten. Über
der Achsel Lrug er eine mächLige Last bunter Teppiche, die er zu verkausen
gedachLe. Sein LllLer war schwer bestimmbar. Er konnte sünszig Iahre

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