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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1892)
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Unsere Künste, [2]: zum Überblick
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0010
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vhiie zu fragcu, vb es sich überhvupt »vch uin Kuust
haudle. Uud so sühlt es sich fchvu bcfriedigt vvu
der redncrischeu Deklamatorik Wildeubruchs, der ja
immerhin mituuter auch Dichter ist, vvn der geist-
reicheludeu Feuilletouisterei BlumeuthalS, vder gar dem
kiudlicheu Gcspaß Mosers oder Schvnthaus — das
alles erfvrdert ebeu zum Geuuß keiue Zuthat eigeuer
Kvrucheu Salzes, keiue große Mitarbeit eigcuer
Phantasie: es liegt klar, wie die Wurstfcheibe auf
dem Butterbrod. Uuser bisheriges Theater muß zu
einem bunten Haufeu sprechen, es wählt sich uicht
sein Publikum lfaugsam aus, wie das Buch. Sehr
iuteressant und sehr bezeichuend smd freilich die Be-
strebuugen, den Theatcrstücken schou ausgelcseue Zu-
hvrerschafteu zuzuführeu, wie sie die „Freieu Bühneu"
uud die „Frcieu Bolksbühueu" uuteruommeu habeu.
Jusbesoudere dic Erfolge der letzteren uud ebeuso
die eiuiger neucr Vvlksspiel-Uuteruehmuugeu auf dem
Lande bcweiseu auch, daß es uicht dte „Uubilduug" ist,
die sich der Kuust verschließt, svuderu die Verbilduug,
die uuser großstüdtisches, die insbesoudcre uuscr
„Premiereu"-Publikum keuuzeichuet.

Auch iu der deutscheu Schauspielkuust spiegelt
sich der Kampf zwischeu Schablvueukuust uud
Judivibualismus. Das kalte Virtuvseutum, desseu
Hauptvcrtreter vielleicht uvch Haase ist, siukt deuu dvch
iu der Achtuug der erustereu Leute, — eiue schlichte,
keuuzeichueude, mätzchcufreie Mimik wird häufiger ge-
schätzt, uud Erfvlgc, wie die der Elcouore Duse,
werdeu in diescr Richtuug weiter wirken. Gebe Gott,
daß wir daun auch mehr uud mehr des Star-Systcms
ledig werden und daß der lächerliche Komvdiauteu-
kultus so weit zurückgehe, wie dics möglich ist, wv
Schillers uud Shakespeares Geist zu deu Juugfraueu
uud Jüugliugcu iin Zuschauerraume mit Feuerzuugcu
aus lockigen Mimeu redet, als tvär er der ihre.
Hinsichtlich der Negie herrscht uoch immer auf deu
meisten Bühueu die mißverstäudliche Nachahmuug
gerade dessen an den Meiuiugeru, was keineswegs
ihr Bestes war: uuscrc Hvf- uud großeu Stadt-
theater siud, sozusageu, uoch uicht vou der Pilotyschule
zur Naturwiedergabe übergegaugen.

Bedeutete die hvchste Beliebtheit eiuer Kunst beim
Publikum ihre kräftigste Blüte, so würe wohl klar,
daß gegeuwürtig vou alleu am herrlichsteu bei uus
die Musik gediehe. Jhr ist wohl uiemals in ähu-
licher Allgemeiuhcit gehuldigt worden, wie jetzt, wv
die Heuchelei, etwas vou ihr zu verstehen, uubediugt
zum guteu Toue gehört. Aber leider deuteu die
Leistuugen sowohl der wiedergebeudeu wie der schafseu-
den Touküustler bei uäherem Zusehen darauf hiu,
daß jene allgemeiue Veliebtheit nur Folgeerscheiuuug
eiuer uuu vergangeuen Blütezeit ist.

Nach der Zahl seiuer Vertreter beurteilt, scheiut
freilich das Virtuoseutum sich uoch immer sehr wvhl
zu befiuden. Auch uach deu Hosiauuahrufeu der
Musikageuteu, ja der Kouzertkritiker wachseu ja auf
diesem Gebiete die neuen Gcuies wie die Pilze,
eiues immer geuialer als das audere, daruuter sogar
gauz kleine, die schon mit zwölf Jahren die Titaueu-
kümpfe eiues Beethoveu aus sich wieder heraus-
schaffeu — was werdcu sie also erst thuu, wenn dcr
erste Flaum ihre Lippeu schmückt oder gar uoch
später! Das lüchcrlichc Treibeu unt Wuudcrkiuderu

E — ."

ist teuiizeichueud für die Vcrüußcrlichuug dcS Virtuvscu-
tums m uusern Kouzertsüleu. Welcheu Siuu kauu
die Darbietuug eincs musikalischeu Kunstwerks, das
heißt doch wohl einer seelischeu Schöpsuug, durch
eiueu Virtuvseu habeu? Doch ukohl den, daß sie
uus iu ciuer durch vvllcudetes Köunen volleudete
Klarhcit erzeugeudeu Weisc vermittelt, wie eiue be-
deuteude Persöulichkeit deu iu jeuer Schöpfuug wal-
tcudeu Geist erfaßt. Solcher Art ist das Virtuoseu-
tuni eiues Liszt, Bülvw, Autvu Rubiustein, Jvseph
Joachim, das ja Gottlob noch heute fortwirkt. Aber
weuu nuu der Virtuose keiue Secleukunst, souderu
uur Haudarbeit liefert? Die Klageu siud sehr be-
rechtigt, daß mau je läuger je mehr verlerne, hicr
zu uuterscheideu, uud so züchtet mau ein Justrumeutcu-
büudigertum herauf, bei dem die eigeutlicheu „Küustlcr"
iu der That die Finger uud uur die Fiuger siud.
Geht das Weseu so weiter, sv wird das After-
Virtuoseinum das echte allmühlich gauz in deu Hiuter-
gruud drüugeu, uud es wird iu schlimmer Wechscl-
wirkuug alsdauu auch das Verstäuduis des Publikums
sür das Seelische iu der Tvnkuust immcr mehr ver-
kvmmeu. Eiue eutsprecheudc Erschciuuug wie das
Eiuzel-Virtuvseutum zeigen leider auch uusre grvßeu
Orchester oft, dcreu Dirigenteu vielfach eiue Art vvu
Masseu-Virtuvseutum pflegeu. Da „klappt" dauu
alles auf das Püuktlichste, wie iu ciucr wuudcrbar
geuau gearbeiteteu Niescu - Spieldvse, aber dicscs
Klappeu gilt auch für die Hauptsache. uud vft wird
der erustere Musiksreuud gcradezu vcrbliifft durch die
Erkenutnis, wie weuig doch der große Apparat aus
atl deu Akkordeu die Seele des betrefseudeu Touwcrks
wiederkliugeu läßt. Auders liegt die Sache jedoch
bei deu Kuustsäugeru: ihueu fehlt iu der Gegeuwart
uur allzuoft gcrade eiue gediegene techuische Bilduug.
Besvuders bei dem Besuchc vvu Aufführungeu Biv-
zartischer oder Weberschcr Operu lvird es selbst auf
uuseru besteu Bühueu peiulich fühlbar, daß wir z. B.
für Rolleu wie die Köuigiu der Nacht oder Douua
Auua gauz geuügeude Darstelleriuueu kaum uoch
habeu.

Die schöpfcrische deutsche Musik, die iu der
ersteu Hülfte dieses Jahrhuuderts immerhiu in Rich-
tuugeu sich eutwickelte, die deueu der auderu Küuste
parallel liefeu, ist müchtig beeiuflußt wordeu durch
eiu Ereiguis, wie cs alleu auderu Küusteu iu Deutsch-
laud währeud der jüugsteu Vergangeuheit gefehlt hat:
durch das Auftreteu eiues alle Mitstrebeudeu gewaltig
überrageudeu Geuies. Nichard Waguer, der die
musikalische Romautik auf das Höchste steigerte uud
sie in sciuem Miisikdrama doch mit der eiudriuglichsteu
realistischeu Charakteristik seelischer Stimmungen ver-
schmolz, hat die Toukanst uusrer Zeit übermächtig
beeinflußt. Nuu er tot ist, leben wir auch hier iu
der Ebbe. Ja, es ist die Frage nicht abzuweisen, ob
uicht hicr, wie das schou so oft in der Kuust ge-
schehcu ist, das Auftreten eiuer so vorherrscheudeu
künstlerischeu Persöulichkeit auf das Schaffen der
dlachfolgeudeu ungüustig eiuwirke. Jst Waguers Ein-
sluß auch auf das gegeuwürtige Schaffeu der Ju-
strumeutalmusik von Segen? Es giebt Leute geuug,
die zu den paar alteu Meisteru, die, wie Brahms,
uubeirrt aus ihrer eigeueu Persöulichkeit weitcrbildeu,
eiueu ebeubürtigcu Nachwuchs uicht erkeuueu, uud die
 
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