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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0297
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ihrem Verlobten, in den Maras
wilde Besitzgier hineinspielt (vgl.
„Lose Blätter"); vielleicht ist dies
Stück das geeignetste, nm mit einem
Poeten bekannt zu machen, den man
nicht um seiner Urkrast oder Künst-
lergröße, aber um seiner ernsten
Leidenschast, um seines tiefzielenden
Wollens und um der Reinheit
willen, mit der er das Menschliche
schaut, in den nächsten Iahren noch
oft nennen wird. W. Schumann

Deutsche Kunst

ir hatten eine deutsche Kunst,
einen Spiegel unsres tiefen
Schauens und Fühlens. Die Ro-
mantiker zeigten uns, wie lieb und
fein der Deutsche empfinden kann.
Und doch fühlten sie mehr nach, als
daß sie schufen. Sie standen vor
der großen Revolution, die uns die
Neuzeit bringen mußte. Die Maler
illustrierten und nahmen ihre Mo-
tive leihweise von den Dichtern.
Maler und Dichter gingen nach
Griechenland und Italien, wenn sie
ganz glücklich sein wollten; sie glaub--
ten, daß Kentauren, Nixen, Burgen
nötig oder nützlich seien, um die
Geheimnisse der Nrnatur begreiflich
zu machen. Dann kam die Zeit der
Naturwissenschaft und des Impres-
sionismus, des neuen Deutschen
Reiches und des Einsturzes aller
alten Ideale. Man warf alles
Theaterbeiwerk aus der Malerei
und fing an, sich Luft und Wolken,
Erde und Bäume genauer anzusehn.
Fing an, die Heimaterde zu lieben
und Italien den Italienern zum
Studium zu überlassen. Nun malte
man Studien auf Studien und spöt-
telte über jede Romantik, als wäre
sie höchst ungesund und eigentlich
überhaupt nicht da.

Das war die Vorarbeit.

Eines Tages, der kommen mußte
im deutschen Geistesleben, ging den
Dichtern unter den Malern die alte,

höchst einfache Erkenntnis wieder
auf, daß jedes kleinste Ding sein
ihm eigenes Geheimnis hat, und
daß infolgedessen die geliebte deut-
sche Muttererde strotzt von unzähl--
baren Geheimnissen, die es sich wohl
lohnt, zu ergründen und womöglich
anschaulich darzustellen.

Da die Maler unterdessen wieder
malen gelernt hatten und Versuche
angestellt, die Farben als Töne zu
empfinden, sie musikalisch zu ver--
stehen, so war der Weg frei, um
dichterisch und musikalisch und doch
rein malerisch Poesie treiben zu
können, um die verborgene Ro--
mantik der deutschen Landschaft ent-
decken zu können, ohne diese Land-
schaft mit Theaterzauber zu ent-
weihen.

Lin Weg, ein Baum, ein Fluß
genügen dem Malerdichter, und er
zeigt euch, daß diese drei Lebewesen
unzählige Gedichte liefern können
voll Schwung, voll Größe, voll
innerlichster Tiefe. Der Baum ist
ein Rätsel, der Fluß und der Weg
sind RLtsel. Drei solche Rätsel mit-
einander verwoben geben tausend
und abertausend Möglichkeiten, eure
Seele zu erschüttern.

Der neuzeitliche Malerdichter und
Musiker hat die Aufgabe, als von
Landesgnaden, den Bedürftigen die
Nmwelt lieb und wert zu machen,
ihnen zu zeigen, daß alles Fabel-
getier, daß Nixen und Kobolde,
Faune und Nymphen überall woh-
nen, scherzen und lachen, weinen
und traurig sind, überall auf unsrer
Muttererde. Daß jedes Ding eine
Vergangenheit hat und eine Zukunft
und damit eine Stimmung in sich
und um sich. Eine alte Mauer,
ein Hausdach haben Schicksale ge-
sehen und erzählen von ihnen, eben-
so wie der Bach, der weit entfernt
dem Quell entsprang, der auf lan-
gem Weg neugierig Umschau hielt
und nun als Erfahrener plaudernd
daherkommt. Der heutige Maler-

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