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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Berufswahl
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Hübner, Friedrich Markus: Der Roman in der Zeitungsrezension
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0107
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der tzandwerker-) der Kaufnrannstand steht genau so lange niedriger als die
akademischen Stände, wie sie sich selber als niedriger geben. Das ist eins
ihrer Leiden> daß sie sich nicht aus ihren eigenen Bedingungen heraus als
Gesellschaftsorgan gestalten, begierig danach, so tüchtig wie möglich das
zu sein, was sie in all ihrer Wichtigkeit fürs Volksganze sind, sondern
daß sie sich gesellschaftlich auf ein Nachahmen anderer Stände verlegen,
in denen sie trotz aller gelegentlichen Redensarten doch die „sozial höheren"
stillschweigend anerkennen. Durch unsern ganzen Gesellschaftskörper geht
ein Streben auf falsche, weil auf Schein-Werte hin: wenn der Sohn des
„Studierten" mindestens auch wieder studieren muß, so soll der Bauern-,
Handwerker-, Kaufmann-Sohn wenn irgend möglich in einen „höheren^
Stand: man hebt sich aus dem Stande, während es gälte: den Stand zu
heben. Unser Titelwesen tut das seinige dazu, Außerlichkeiten wichtig,
Mchtigkeiten bedeutsam und Rnterschiede, die gar nicht da sind, als vor-
handen erscheinen zu lassen: hier zeigt sich die Stelle, wo es aus dem
Lächerlichen heraus dämonisch wirkt. Wird unser Volk ein Ostern des
besten dentschen Wesens erleben, bevor es sich zum rücksichtslos zu ver-
folgenden Ziele setzt: die Scheinwerte durch Lebenswerte zu ersetzen? A

Der Noman in der Zeitungsrezension

F^^er Schwall von Erzählbüchern, der bei uns jedes Iahr unterm
^D^Rubrum: „Roman" auf den Büchertisch niederschneit, ist unge-
heuer, ist erdrückend. Doch nicht ob dieses katastrophalen Natur-
vorgangs soll hier zum soundso vielsten Male ein aussichtsloses Klage-
lied angestimmt werden; was mehr verblüfft, ist das erschreckende Miß-
verhältnis zwischen einer derartigen Massenveröffentlichung und dem ge«
ringen Grade eigentlicher Beachtung, die offenkundig dem Roman bei uns
als einer künstlerischen Angelegenheit zuteil wird.

Wie unterscheidet sich hier unser öffentlicher Geschmack von jenem latei«
nischer Länder! Die Roman-Erzeugung hat in Italien und Frankreich sicher«
lich zur Stunde an wertmäßigem Niveau nichts gegenüber der unsrigen
voraus, sie steht, so stolz dürfen wir schon sprechen, eher niedriger. Was
sie aber voraus hat, das ist der Ernst und das Sachverständnis, mit
dem in der Tagespresse Lagtäglich auf sie eingegangen wird. Man öffne
Ortsblätter wie die von Bologna oder Nancy oder Lausanne und man
wird sich selbst aus diesen Provinzzeitungen ein Erstaunen holen über
die Lebhaftigkeit, die künstlerische Schärfe, den hohen, psychologischen Er-
fahrungsstandpunkt, mit dem da die Kritik an die Ankündigung, Zergliede«
rung, Beurteilung der Roman-Neuerscheinungen herangeht. Und zweitens:
diese Artikel führen nicht jenes nebensächliche Dasein wie die entsprechen«
den bei uns „unterm Strich" oder hinten am Schluß oder in einer nur
wöchentlich ausgegebenen Beilage, sondern sie stehen mitten im Platze
der übrigen brennenden Tagesfragen, auf zweiter oder auch erster Seite,
breit und lang wie die wichtigsten politischen Aufsätze.

Das Verhalten einer Zeitung ergibt sich aus den Forderungen des Publi«
kums. Wenn solche Blätter lateinischer Zunge wie jeder Kunstkritik, so
namentlich der Besprechung neuer Romanliteratur derartig breiten Raum
und eine derartig hohe Sachlichkeit zur Verfügung stellen, so beweist das,

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