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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Berufswahl
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0106

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so hoch hinaus. Alles Ding der Welt ist Kornproiniß zwischen Ich und
Welt, jeder muß sich einpassen in ein Arbeitsgebiet. Fühlt er sich aber
als Glied des Ganzen, als Organ seines Volks, so erfaßt er auch
von innen her mit tiefer Freude Goethes Wort:

In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,

And das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

Aber davon sprachen wir ja heute gar nicht. Sondern von dem Thema,
das wir mit jeder neuen Frage der Ausdruckskultur neu abwandeln: vom
Linfluß dessen, was gerade nicht aus den Kräften kommt, die bei einer
Sache wesentlich sind, vom Einfluß des Außersachlichen bei der Berufswahl.

Wieso „muß" der Iunge studieren, weil der Alte studiert hat?
Unsre Industrie, unser tzandel, unser tzandwerk, unser Städter- und
Bauerntum, unser Volk in allen seinen Schichten gibt dem Können auf
irgendeinem Gebiete, gibt vor allem der Intelligenz überall um so bessere
Aussichten, vorwärts zu kommen, je mehr die gewählte Arbeit der Be-
fähigung, der Neigung des Einzelnen, je mehr der Beruf der Berufen-
heit entspricht. Wo's an der nötigen tzochschätzung tüchtiger Arbeit fehlt,
da sollen alle Kräfte zu bessern, und nicht auszuweichen suchen. Aber
der Sohn des Studierten „muß^ irgendwas studieren, nur der Offizier
und der Künstler ist sonst noch „standesgemäß", bei welchen beiden Be-
rufen es dafür die verschiedenartigen andern „tzaken" gibt. Im Zeitalter
der Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit mit allen ihren neuen Möglich-
keiten züchten wir den Klassenhochmut noch mehr als früher heran, wo
viel häufiger als heute der eine Sohn „studierte", der andre „lernte".
Mit der Phrase von der Gleichberechtigung und vom demokratischen Zeit-
alter im Mund, mit dem Risse durch unser Volk vor den Aüßen und
vor unsern Augen den Weltbrand am tzorizont, der die Brücke über jenen
Riß zur dringendsten aller Notwendigkeiten der Rettung macht, so sitzen
wir da, blasen aus Mchtigkeiten Wichtigkeiten auf und vergrößern Eitel-
keits-Spielereien zu tzemmungen der Entwicklung. Mcht stark machen
wir, sondern wir stützen. Mcht seine Kraft üben soll unser Sohn für
die Gesellschaft, sondern ihre Einrichtungen sollen ihrerseits ihm durch-
helfen. „Sein Gewisses" soll er schleunigst erstreben, als wenn auf die
Iünglingszeit gleich schon das Greisenalter folgte, das vor allem seine
Ruhe haben und versorgt sein will. Mchts wagen, nicht irren, nichts
am Versuchen selber lernen, nichts am eigenen Erfahren reifen. Würde
solcher Geist allgemein, welch eine tzerde züchteten wir dann aus uns!
Es gibt ja nicht wenige, die jetzt schon meinen, daß nur eine große
völkische Not uns Deutschen die Verinnerlichung noch schaffen könne, die
gesunden läßt. Ich für mein Teil glaube, sie irren. Aber je Häufiger die
Eigenliebe als Ichsucht oder elterliche Gefühlsenge auf das Profit und
Ansehen verheißende Anterbringen, das Versorgen und Karriere-Ver-
schaffen hingeht, je dringender tut es not, die Gefährlichkeit, die Verwerf-
lichkeit solchen Treibens bewußt zu machen. Es sind Ostergedanken, die
wir dazu brauchen.

And es sind Ostergedanken, die auch in den Ständen stärker und stark
werden sollten, die man die „untern" zu nennen Pflegt. Der Bauern-,

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