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Kunstwart und Kulturwart — 34,2.1921

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1921)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zu Tagores sechzigstem Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14433#0155

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süßen Scherzes, eme tauserrdsaitige Harfe der Leideuschaft, deren Grund-
akkord Liebe ist — das alles klang und sang daraus. Das Wehen des
Abendwindes, der Umriß des Herrlichen Baumes im Licht, die aufquellende
Sehnsucht, die Neckerei, das Vergehen im Allgefühl, die Schwermut der
einsamen Besinnung — solches alles war sein und wurde in abermals
ueuer Weise durch ihn unser. Dann kamen die dranratischen Werke:
„Chitra", „Der König der dunklen Kammer", „Der Frühlingskreis". Hat
Tagore, als er sie dichtete, an Theater gedacht, so scheint es, daß diese den
unsern nicht sehr ähnlich sind und jedenfalls wäre ihr Publikum dem
unsern nrcht ähnlich. Denn wir können seine Dichtungen nur mit höchster
Muhe und nur vor kleinen Kreisen aufführen. Wir mögen auch wohl
urteilen, daß er nicht in unserem Sinne umrissene Gestalten schafft, und
es mag uns die Frage bewegen, ob die Rmrisse unserer europäischen
Charaktere das Letz>t-Entsch!eidendL sind, wie man iu der Welt Dostojewskis,
Ibsens, Zolas, Hamsuns, Hauptmanns gern glaubt. Doch daß seine Ge-
staltenwelt, verschwimmend im Nmriß, aber magisch ties und geistig-sittlich
unverrückbar im Kern, einer alleredelsten, symbolisch schauenden Dichter-
kraft dient, daß seine Dranratik uns vermöge ebeu dieser, Sinn gegen
Unsinn, Wesen gegen Schetzn, Unvergängliches gegen Vergängliches heben-
den Kraft auch uns anderen Schauens Gewohnte innig bewegen, ja er-
schüttern kann, ist gewiß. Aristotelische „Reinigungen" bringt sie kaum
hervor; die Spannung uns gewohnter Tragsk bleibt diesen leisen Ge-
bilden fern. Aber es geht um jene Werte und Entscheidungen, die alles
Lebens eigentlicher Urgrund uns aufzwingt. Zuletzt kam ein Roman und
ein Band Erzählungen ans Licht, von denen wir im Dezember Proben
gaben. Für uns der Beweis, daß der Lyriker und Symboliker Tagore
auch im Getriebe des Alltags mit derselbeu Kraft steht wie im Sturm der
eigenen Erlebnisse und Besinnungen. Auch da nicht eine europamäßige
„Auseinandersetzung" mit dem Chauvinismus, wie man „Das Heim und
die Welt" nicht gut gekennzeichnet hat, sondern ein stilles Abbilden des
rauschend-Vergänglichen und ein sanftes Erklingenlassen des ruhig-Lwigen
dagegen — aus dem Osten stammt das Wort, das Allerweichste überwinde
das Allerhärteste. Auch in den Novellen nicht zugespitzte Probleme und
kunstvolle Knüpfungen, Enthüllungen innerer Vorgänge und verfeinerte
Milieuzeichnungen, sondern ein lautloses dem-Iunerlichsten-Nachgehen, eine
Ehrfurcht, welche mitten in Alltäglichem die wunderwirkende Liebe, die
unerschütterte Hoheit reinen Glaubens und echter Gesinnung erkennt und
emporhebt. Indes, doch in andrer Art als etwa die Dramen sie zeigten.
So wenig nachdrücklich und absichtlich hier die Nmwelt aufgenommen ist,
so 'gering das Beiwerk von Zeitlichem ist, so wird doch alsbald deutlich,
wie der Erzähler, kämpfend und bekämpft, gedankenvoll und bewegt, mitten
im Heute steht, in einer Tages-Problematik, welche je und je auch die
unsere ist. Wir wundern uns nicht, zu hören, daß ein rein philosophisches
Buch Rabindranath Tagores im Erscheinen ist, von dem bald zu bsrichten
sein wird, und daß sr als sein Lebenswerk eine Erziehungsanstalt — Das
Heim des Friedens — betrachtet; sie ist, so wissen wir, nnr ein Teil, viel-
leicht der beglückendste, seines geistigen Werkes. Denn auch dieses ist ein
Dienst an der Menschheit und ein Wirken im Aeichen des Friedcns unter
den Sternsn, die ewig und unser aller Zuversicht sind. Schumann

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