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Kunstwart und Kulturwart — 34,2.1921

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Heft 9 (Juniheft 1921)
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Kuntze, Friedrich: Das Leben ohne Autorität
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Dörfler, Peter: Der Rätsellöser
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https://doi.org/10.11588/diglit.14433#0168

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berrevolution legte alle staatliche und wirtschaftliche Macht in die Hände
der Sozialisten; kein Giktator hat je so unbeschränkte Möglichkeiten all--
seitiger Umgestaltung gehabt. Und die allgemeine Sozialisierung blieb
aus! Die Kirchenväter 'und Professoren des neuen Glaubens wußten, daß
sie in dieser Plötzlichkeit ausbleiben mußte, daß sie, nach den Lehren des
Meisters selbst, so gar nicht kommen konnte. Aber die Dorfpastoren und
ihre Gemeinden, denen man die Lehre in sehr vereinfachter Form in die
Hand gegeben hatte, verloren nun den Glauben an das Theoretische und
Ideale überhaupt, sie sahen das Heil nur darin, mit der „schwieligen
Faust" die überfeinen Gespinste der Theoretiker zu zerreißen und für
ihre Person allererst einmal mit dem praktischen „Sozialisieren", das
heißt, mit dem Wegnehmen, zu beginnen. Damit war abermals, durch
den Sturz einer Autorität, eine Einheit, zwar nicht mehr die einer geschicht-
lichen Epoche, nber doch die einer Episode zerbrochen. Das große Ideal,
durch das ein Bebel ein Volk im Volke zu einer unerhört straff durch-
organisierten Glaubensgemeinschaft zusammengefaßt hatte, war tot; der
Sieg der Revolution wurde das Ende des sozialistischen Glaubensbekennt-
nisses: dem Hegelianer Marx wurde die Dialektik seines Meisters zum tragi-
schen Schicksal:sein Sieg wurde sein Ende. Was blieb? Die Trümmer der
Verheißung der Glückseligkeit auf Erden, an deren schleunige „Realisierung"
nun mit aller Macht gegangen wurde. Einige armselige Trümmer der
alten idealen Forderungen, wie die gleiche allgemeine Bildung, die Volks-
hochschule usw. wurden, da wir doch nun einmal das „Bildungsvolk" sind,
um der literarischen 'Tradition willen ge.rettet. Das Religiöse aber der
marxistischen Bewegung verflachte zum Kampf um den Hauptanteil an der
Futterkrippe. And wenn sie ausgefressen sein wird, was dann? So kam
die letzte große Autorität im deutschen Volke zu Fall; sie war umso größer,
weil sie ideell war. Ietzt können wir nur, wie der sterbende Pius IX. sagen:
„Trümmer, Trümmer, nichts als Trümmer".

Ia, und was dann? — Dem Philosophen steht der Prophetenmantel
schlecht, immerhin glaube ich folgendes sagen zu können. Der kadaverose
Zustand, in dem wir uns jetzt befinden, ist etwas Anwahrscheinliches. Ich
halte es nicht für möglich, daß ein Volk, das vor dem Kriege und im Kriege
so unerhörte Lebenskraft entfaltet hat, keine inneren Heilungsmöglich-
keiten mehr hat. Wo aber hat es sie? Im Reich der Bildung liegen sie
bestimmt nicht. Nein, ich glaube an eine ungeheuere religiöse Erschütte-
rung, nicht nur Deutschlands, sondern der Welt, wann, wie, und von wannsn
sie aber kommen wird, das weiß ich nicht. Friedrich Kuntze

Der Nätsellöser

von Peter Dörfler

sLeider recht selten sind wir veranlaßt, auf das neuere deutsch-katholische
Schrifttum einzugehen. Seit Lnrika von Handel-Mazzettis Kraft gesunken
ist, blieb Heinrich Federer, von einigen Lyrikern abgesehen, eine Zeitlang
so ziemlich der einzige Schaffende dieses Kreises, der je und je wieder die
Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Am so mehr freuen wir uns, heute auf
einen Dichter hinweisen zu können, der schon in der Reifeperiode ;u stehen
scheint. Peter Dörfler war von Anbeginn an ein starkes Talent. Seine
Kindheitserzählungen „Als Mutter noch lebte" überraschten durch Frische
und Innigkeit, ein kleines Kriegsbuch von ihm ragte aus der Fülle der
 
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