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Kunstwart und Kulturwart — 34,2.1921

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1921)
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Kuntze, Friedrich: Das Leben ohne Autorität
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https://doi.org/10.11588/diglit.14433#0164

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nun darüber vorzutragen habe, sind wohl einem jeden meiner Leser schon
einmal durch den Kopf gegangen, sie sind also, als Eigentum einer grotzen
Anzahl, primitiv, ja einfältig, aber eben deshalb will ich sie vortragen.

Einer meiner früheren Soldaten sagte mir neulich: „ob es einen lieben
Gott gibt, weiß ich nicht, wenn es aber einen gibt, dann steht es jedenfalls
fest, datz er sich gegen uns Deutsche gründlich schuftig benommen hat".
Das ist wohl manchem aus der Seele gesprochen. In der Tat: wenn man
die überkommenen Vorstellungen vom Siege des Guten auf der Erde, wenn
man den ganzen, in Sprüchwörtern, in Erziehungsmaximen aiedergelegten
Äberzeugungsbestand festhält, kann es da ein aufschreienderes Mißverhältnis
gebcn, als das zwischen dem heiligen Kämpfen eines guten Volks in ge-
rechter Sache, ünd dem Ergebnis, das ihm das Geschick beschieden hat?
Wir Deutschen sind ja nun allerdings gewissenhaft, und ehe wir dem lieben
Gott die Schuld zuschieben, suchen wir sie lieber bei uns selbst, daher zum
Teil wohl die vielen, mehr von moralischer Skrupulosität als von Latsachen-
blick und Logik zeugenden Versuche, übrigens auch anständiger Männer, die
Rechtlosigkeit unseres Kampfes ums Dasein nachzuweisen. Aber bei der
großen Mehrheit der Nachdenkenden in unserm Volke hat der unsterbliche
Gram, der auf uns lastet, doch auch die ihm gebührende kosmische Gestalt
angenommen: die Sprache der Tatsachen redet zu laut gegen einen Gott,
der dem Guten zum Siege verhilft auf der Erde. Von einem intelligenten
Mann aus dem Volke hörte ich gar: er verstünde jetzt die sogenannten
Teufelsanbeter, denn es sei sicher, daß der liebe Gott jetzt zum mindesten
mediatisiert worden sei, und daß der Teufel das Regiment der Welt führe.
In der Tat, es ist verstandesmäßig unwiderleglich: die schlechtesten Mächte
in der Welt haben gesiegt, die Lüge, die Gewalt triumphieren, der ethische
Idealismus liegt äm Boden. Man wolle diese Erschütterung des Glau»
bens an Gott, über die vielleicht mancher freigeistige Leser lächelt, nicht
unterschätzen: sie wird in ihren kulturellen Auswirkungen ganz unvergleich-
lich viel furchtbarer sein, als es irgendwelche Angriffe gegen den Dogmen-
bestand von Kant bis Nietzsche je sein konnten. Denn auch der sogenannte
Freigeist weiß garnicht, wie religiös, ja wie bibelgläubig er im Grunde
ist. Es gehört zu den großen Verdiensten des Spenglerschen Buches
„Der Untergang des Abendlandes" der Nachweis, daß im Anfange jeder
Kultur ein gewaltiges Nrsymbol steht. Die nächste Auswirkung dieses
Arsymbols sind allerdings die Dogmen und Mythen; aber mittelbar stammen
alle Kulturtaten, bis zur Sprache der Mathematik von ihm her, und
sehr unmittelbar fließen die ethischen, das Leben im Großen beherrschenden
Vorstellungen von ihm ab. Der gewaltige Anschauungsunterricht vom
Kriegsende und von der Zeit nach dem Kriege hat aber nicht nur an allerlei
theoretisches Beiwerk der Gottesvorstellung gerührt, nein, er ist ihrem
aktuellen Sein verhängnisvoll geworden: unser ethisches Ursymbol, der
Glaube an eine Weltordnung überhaupt, wankt in seinen Grundvesten, und
auf diesem Glauben ruht unsere ganze Kultur. Das ist furchtbar, zumal
auch gar keine Art abzusehen ist, wie das Gebäude abgestützt werden könnte.
All die wohlmeinenden Versuche, durch buchmäßige Modifikationen jenes
Glaubens, durch Neubelebung des kantischen, fichtischen und sonstwelchen
Idealismus seiner Obdachlosigkeit in der Seele abzuhelfen — sind Regen--
schirme, aufgespannt wider den Taifun. — Nicht viel besser steht es um
die Fundamente dessen, was man den ethischenDetailglauben nennew
könnte (daß 'es Dir wohl ergehe, und du lange lebest auf Erden). Es ist
 
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