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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 2 (Novemberheft 1921)
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Schumann, Wolfgang: Vom Problem der Bildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0093
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genügen müßten, — aber wir können überhaupt noch keinen Menschentyp
in einer sür die Erkenntnis zulänglichen Weise beschreiben; und könnten
wir dies, so wären die Hunderte von Wegen zu beschreiben, anf denen man
jene Dutzende von Typen heranbildet, was wir erst recht nicht können, da
wir nicht irgendwelche gesicherte Erkenntnis über das Heranbilden ü b e r --
h aup t haben. Hätten wir aber dies alles, was wir nicht haben, dann
begänne erst das Fragen in anderer Richtung, nämlich in dieser: Wie
organisiert man gesellschafttechnisch das Heranbilden großer Massen zu
„Gebildeten", wie müssen die Bildner aussehen, wie die Einrichtungen,
wer „bezahlt" das, welche Hilssmittel sind notwendig? So schießen dem
Betrachtenden tansend Fragen aus, die gleich tausend unüberwindlichen
Hindernissen sind. Dem Iüngling öffnet und beugt sich, ein Mal, die
unabsehbare Masse des Wißbaren und Erlebbaren, mit Blitzgeschwindig-
keit erkennt er Znsammenhänge und Herrlichkeiten; er eilt, den Brüdern
davon mitzuteilen. Nichts kann ihm leichter dünken, als sein Lrlebnis
zu verbreiten. Der skeptisch gewordene Denker senkt die Augen im Bewußt-
sein des Nichtwissens und geht an das bescheidne Tagewerk.

Das Leben, getragen und getrieben von durchans nicht fkeptischen Köpfen
und Herzen, erfährt von Skrupeln und Zweifeln wenig. Der Verlauf ist
so einfach: Macht und Wohlstand war uns nicht vergönnt, die Materia-
listen haben abgewirtschaftet, man blickt sich um, man sieht nach etwas
anderem aus, und in diesem Augenblick melden sich die lange verstummten
Idealisten mit ihrem Stichwort: Bildung. Es wird also, im Iargon der
Aeit zu reden, nun „in Bildung gemacht". Erfahrene lächeln: Modesache!
Indessen, Moden von längerer Dauer sind „Bewegungen", sind nicht mehr
nur Moden. Irgendetwas steckt in ihnen, irgendetwas „kommt dabei her-
aus", was bei andren, kurzen Moden nicht herauskommt. Und eben da-
nach wollen wir diesmal fragen, was denn in dieser Bildungsbewegung,
in dieser Mode, in dieser gesellschaftlichen Erscheinung „steckt" und sich gel-
tend macht, ganz gleich, ob sie dauert oder vorübergeht, uns enttäuschen
oder befriedigen wird; und danach, was vielleicht „dabei herauskom-
men" mag.

/Lrkennen ist ein besonnenes Rätselraten: man hat ein Ding, ein Problem,
^eine Fragestellung, und nun werden probeweise Definitionen, Lösungen,
Antworten angesetzt. Der Nnterschied, daß Rätselraten mit der Lösung endet,
Lrkennen ins Unendliche weist, da jede Antwort auf neue Fragen hinleitet,
bleibe hier unbedacht — unser Problem lautet: was steckt entscheidend und
bewegend in dem Streben nach Bildung? oder: warum denn streben wir
nachBildung? oder: welchen übergeordneten, höheren, umfassenderen Werten
nähern wir uns, indem wir uns bilden? oder: zu welchem Zweck ist Bildung
das Mittel? Nnd nun seien verschiedene Antworten versucht. Es mag
scheinen, als ob damit in allzu kecker Weise die Behauptung umgangen
werde, die oben aufgestellt ward: daß wir nicht sagen können, was Bildung
ist. Aber wir können es nur nicht sagen, nicht erschöpfend, eindeutig
und zwingend in Formeln bringen; wohl können wir es jedoch auf jene
selbe geheime Art wissen, auf die wir auch „wissen", daß und wie wir
selbst „sind". Wir erleben Bildung und schauen sie an Andern, wir erblicken
ihre Wirkungen und sind der Vermutungen fähig über ihre Rolle im Zu°
sammenhang des Lebens. Von diesem Boden aus, er mag schwankend sein,
ist aber kaurn schwankender als der, der hundert gewichtige Lrwägungen trägt,
seien unsre kurzen Betrachtungen trotz aller berechtigten Skepsis gewagt.

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