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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 2 (Novemberheft 1921)
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Schumann, Wolfgang: Vom Problem der Bildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0094

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Man spricht vom „Glück der Bildung". Wir sagen, und gerade heute,
dies könne uns niemand rauben. Hier scheint eine Antwort auf unsre Frage
versteckt. Wäre Glück der „Zweck" der Bildung? Glück der umfassendere
Wert, dem wir nachtrachten, indem wir uns Bildung aneignen? Wollen
wir dem Volk mit der Bildung Glück bringen? Gehen wir naiv von Tat-
sachen und (Lrlebnissen aus, so drängt sich uns ein freudiges Ia zu solchen
Fragen auf die Lippen. Haben wir doch den sehr starken Lindruck, daß
Glück und Bildung im großen gesehen meist in einer Person zusammen-
treffen. Und — dies ist freilich nur ein sehr persönliches Bekenntnis —
kein Zwcifel scheint möglich, daß Bildung einen gewaltigen Teil unsres
Glückgefühls begrüudet; der Gedauke, daß die unvergeßlichen Stunden mit
Homer, mit Buddha, mit Goethe, mit Tolstoj, mit Feuerbach, mit Klinger,
mit Darwin oder Comte uns nur vermöge unsrer Bildung geschenkt sein
konnten, gibt den Ausschlag. Und doch! Denn es gibt sreilich ein „doch" in
dieser Sache. Von andrer Seite her kommend gewahren wir: jene vielen
glücklichen Gebildeten scheinen uicht glücklich, weil sie gebildet sind, sondern
gebildet, weil sie zuvor glücklich waren! Hängt doch Bildung irgendwie von
Besitz ab, und wenn die „S-chicht" der Gebildeten zugleich die Schicht der
Glücklichen zu sein scheint, so erscheint kaum fraglich, was da Ursache und
was Wirkung ist. Es sei denn, wir wagten die Behauptung, daß der Be°

sitzende, der als solcher schon im Stande der Unbildung, Halbbildung,

Viertelbildung glücklich war, durch Vollbildung erst zum rechten Glück
gelangt. Diese Behauptung aber „drängt" sich doch wohl durchaus nicht
„auf die Lippeu". Wissen wir, welches Schicksal denen geworden wäre, die
im Besitz auf Bildung verzichtet hätten, „wissen" wir, ob ihr Glück geringer
gewesen wäre? Können wir von anderen Menschen derart Fragliches über-
haupt mit noch so bescheidener Sicherheit sagen? Können wir es auch nur
von uns selbst sagen? Alles schreit in uns — dies ist freilich abermals
nur ein Bekenntnis —, ja, wir können es sagen, auf alles das, was du

fälschlich „Glück" nennst, wollen wir lieber verzichten, nicht auf Bildung!

Zwei Lebenswege denkst du uns vor: den einen glücklich durch Besitz aber
ohne Bildung, den andern mit Bildung aber ohne Besitz, und frei von
Zaudern wählen wir den zweiten! Die Entgegnung auf so begeistertes Be-
kenntnis möge in eiue Reihe von steigend schärferen Fragen gekleidet
werden: wählt ihr auch noch den Weg der Bildung, wenn sie nicht allein
nur ohne „Besitz", sondern auch nur ohne Lheglück, ohne häuslichen Frie-
den, ohne Gesundheit euch gewährt wird? Kann Bildung allein euer
Glückverlangen befriedigen? Würdet ihr euch auch zur Bildung als höch-
stem Glück bekennen, wenn sie für euch allein ein Sosein, ein Zustand wäre
und nicht zugleich Macht, Äberlegenheit, Befriedigung der Eitelkeit be-
deutete? Und habt ihr euch bedacht, was ihr ablehnt, wenn ihr den
Weg der Bildung mit solcher Leidenschaft den andern vorzieht? Bedacht, daß
es Kleinbürger, Bauern, Handwerker, glückliche Mütter und Tanten genug
gibt, die nie von Buddha, Faust, Klinger, Comte gehört haben, in etwa
jeder Beziehung „ungebildet" sind, und doch euren Neid erweckten? Habt
ihr bedacht, Bekenntnisfrohe, daß auch bei diesen ein ganz unverächtliches
Glück ist, welches ihr mit eurem raschen Entscheid eilfertig von der Schwelle
wieset? Habt ihr bedacht, welche Qual, welches Unglück eure Bildung
euch auch, neben Glück und Lust, brachte? welche Verfeinerung des Leidens,
welche schmerzliche Fähigkeit, „Probleme" bis zur geistigen Erkrankung
zu durchdenken, welche verzehrende, Tiefstes ankränkelnde Gier nach Ver-

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