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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1921)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zu den Weihnachtseinkäufen
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Welt-Anschauungen: Bemerkungen über das Künstlerische
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0171

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könnten. Das ginge nie an und heute schon gar nicht. Ich habe auch für
diese Bemerkung ja nur wenige Zeilen Raum. Aber hier: an gedrucktem
Materiale liegt viel vor, ich darf schon schließen.

Wer sich solchen „Ansprüchen" gegenüber in Nöten fühlt, dem wird
ein Trostgedanke helfen, welchen die Sache selbst bringt: Die Wahl dessen,
was einer tun, auch die Wahl dessen, was er vor Weihnachten kaufen
kann, ist lange nicht in dem Maße Geldfrage, wie dem ersten Blicke scheint.
Das Allerwichtigste, der Geist, kostet ja überhaupt nichts. A

Welt-Anschauungen

Bemerkungen über das Künstlerischc

^^aß ein einzelnes Ding oder eine überschaubare Gruppe von Dingen
(--H^in der Welt ihre mehreren Seiten hat, ist uns höchst geläufig. Der
blühende Apfelbaum ist für den Liebenden herzweitendes Symbol, für
den Botaniker ein Bündel wissenschaftlicher Probleme, für den Züchter
ein wirtschaftlich nutzbarer Teil einss arbeitfordernden Obstgartens; der
Kristall ist für den Mathematiker ein Beispiel stereometrischer Formen, für
den mystischen Sucher ein Mittel, zu tiefster Versenkung sich zu zwingen;
der Haushund ist für den einen ein Tier, an dem man die Lrfolge der
Zähmung und Züchtung sieht, für den andern ein Spielzeug, das man
hätscheln und guälen kann, für dsn dritten der letzte lebendige Kamerad
in der Einsamkeit.

Wie aber steht es mit der Welt als Ganzem? Ist sie in gleichem oder
ähnlichem Sinne vielmalig vorhanden? Wir sind daran gewöhnt, von
mehreren „Welt--Anschauungen" zu reden; es setzt sich langsam die Ge--
wohnheit durch, sie als gleichberechtigt, also als gleich möglich zu be°
trachten. Aber wo immer dies geschieht, — gemeinhin sieht man dabei
auf die Wertungen mehr als auf die „Anschauungen". Man gesteht
dem Katholiken zu, daß er erklärt: diese und jene Dinge sind mir vorzugs--
weise wert und wichtig, es ist mein Wille, sie zu pflegen und zu fördern;
und das Gleiche gesteht man, vielleicht nach mehr oder weniger Zögern,
dem Sozialisten, dem Liberalen, dem Nationalisten zu. Nicht sehr oft
aber findet man die Anerkennung, daß bei sehr verschiedenen Wertungen
und Will^nszielen doch die gleiche Welt-„A n s ch a u u n g" die Geister
beherrschen kann. Wenige scheinen sich klar, daß allertiefste Nnterschiede
der Menschen nicht nur im Werten und Wollen liegen, sondern auch im
Typischen ihrer Einstellung zur Welt, auch soweit diese Ein-
stellung nur auf die Auswahl dessen geht, was wir gewohnheitmäßig und
mit Vorliebe beachten, betrachten, zum Beherrscher unserer Stimmung
haben oder machen. Neben jenen Weltanschanungen, welche Gebote an
unsern Willen enthalten, und mit ihnen verwoben oder durch sie hin-
durchgelagert, eriüllen uns Weltanschaunngen, die den Zielwillen des
Handelns unmittelbar frei lassen, dafür aber unsere Stimmung und dann
erst mittelbar unser Tun bestimmen. Ich brauche kaum noch zu sagen, daß
ich jetzt ebensowenig wie die Willens-Zielvorstellungen etwa auf die er-
klärenden, begrifflich gefaßten, abstrakten Theorien oder Hypothesen-Systeme
ziele, durch welche man sich denkend das Weltwesen faßlich zu machen
sucht, nicht auf die Weltanschauungen im Wortsinn der Philosophie, etwa
den Idealismus, Realismus, Materialismus und ähnliche. Auch diese
„Welt-Denkungen" scheide ich, wie die „Welt-Wollungen aus, ich
spreche nur von den sozusagen „eigentlichen" Welt-Schauungen.
 
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