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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1921)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Schicksalswende der Kunst?
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Avenarius, Ferdinand: August Gaul
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0182

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Zertrümmermrg der alten Sprache, Technik und Problematik, auch in d.ek
bikdenden Kunst, hat doch ein Gutes: sie zwingt ein aus Äberproduktion
jeder Art bis zur Gelähmtheit erschöpftes Geschlecht, zu den Quellen
künstlerischen Schaffens zurückzukehren. Sie zwingt, sich zu
besinnen und um Klärung zu ringen. Die wahren (nicht die Buchstaben-)
Philosophen sind darin vorangegangen. Sie fragen, nicht verblendet
vom Geschrei der Masse, von eitlem Ichwahn oder von den Reflexen der
himmelschreienden Aot der Zeit, was uns not tut. Und sie kommen, einer
nach dem andern, zum alten Goethe znrück und zu Humboldt und bereiten
so einer neuen Klassik den Weg.

Sie wird nicht Formalismus sein wie die von Paul Ernst, noch bloszer
Widerhall des alten Weimar, sondern blutlebendige, von den Schicksalen und
den Erfahrungen unserer schwersten Leidensjahre erfüllte Kunst und Wissen-
schaft. Mehr läßt sich von ihr noch nicht sagen, aber dieses Wenige^ sagt viel.

Vorläufig wird der Kunstbolschewismus noch eine Weile tanzen und
rasen und an dsr Zersetzung auf allen Gebieten mithelfen. Lange wird er
das nicht mehr tun. In Berlin löst die musikalisch bedeutsamere Buffonerie
im Stile Offenbachs die schale Tanz- und Zotenoperette ab. Sogar das
Filmpublikum der großen Fabrikstädte läuft vom Kitsch-Abenteuerfilm zum
Naturfilm und erzwingt Aufführungsverlängerungen von so wirklich vor-
trefflichen Films wie dem von den Wundern des Schneeschuhs. Bürgerliche
und auch sozialistische Zeitungen werben schon da und dort um Verstän-
digung, gegenseitige Aussprache und Entgegenkommen, die Iugendbünde
versuchen es wenigstens, Anknüpfungspunkte durch Aufstellung gemein-
samer Aufgaben zu finden, ernstgemeinte, wenngleich nicht über jede Kritik
erhabene Vereinigungen, wie der Euckenbund und die Fichtegesellschaft,
gewinnen im nachdenklichen Bürgertum überraschend viele Anhänger, die
Volksliedbewegung wächst sehr stark und das Bildungsstreben der breiteren
Menge erzeugt allmählich brauchbarere Formen des Volkshochschulbetriebs.
Das alles mitten im tollsten Weltuntergangsgerede von Glücksrittern, poli-
tischen und militärischen Vabanquespielern und geistigen Proleten.

Die gemarterte Seele derer, die da nicht mittun können, flieht zum Ver-
stand. Der schafft mühsam Klarheit und Ruhe und baut, im Verein mit
der Seele, ganz allmählich Dämme von Mensch zu Mensch. Trotz all dem
steht noch fast jeder, der den Willen hat, wach zu bleiben, in seinem Lebens-
kreise auf einer Insel. Aber Damm um Damm strebt von Eiland zu Eiland
hin. Ganz allmählich, ganz allmählich wird ein neuer Kontinent erwachsen.
Auf ihm wird trotz allem eine neue Gemeinschaft möglich sein und mit ihr
auch eine echte Kunst. Eine Kunst, die nicht mehr ein Spekulationsobjekt
amusischer Käufer und Verkäufer sein wird, noch das Werk geldgieriger
Artisten oder aus Not pfuschender Auch-Künstler, sondern wieder ein
Ausdruck: der Ausdruck des Schönsten und Tiefsten, was alle die neuen
Menschen suchen, das Spiegelbild ihres neuen Erlebens, vom Parteigetst
zum Gleichnisse ihres Daseins vertieft. E. K. Fischer

August Gaul ^

uf meinem Schreibtische steht seit geraumen Iahren als einziges
V/» Stück Kunst eine kleine wenig bekannte Bronze, ein Orang-Utan* von
^4-Gaul. Hunderte von Malen hab ich sie in der Hand gedreht. Das
gab dann zunächst immer ein angenehmes Greifen, wie ein Kinderkörper
 
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