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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1921)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: Was kann uns der Buddhismus noch geben?, [2]
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst; Nötzel, Karl; Weber, Leopold: Zum Gedenktage an Dostojewskij
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0103

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Möglichenfalls, so könnte rnan einwenden, ist dies aber gar nicht das,
was das Schicksal uns ausersehen hat. Möglichenfalls soll gar nicht ein
neuer kräftiger Stoß von Weltentsagung uns verjüngend anfwärts treiben.
Möglichenfalls ist ein reines und jähes Absinken in den historischen Iahr-
tausendschlaf das, was uns beschieden ist, — jenen Schlas, der zu alt ge-
wordene oder zersetzte Kulturen in seine Anne zu nehmen pflegt. Auch
für solchen Schlaf würde dann die breite und starke Woge des Buddhismus
kein unedles Erholungslager abgeben.

So wird der Buddhismus noch manches zn sagen haben. Aud zwar auch
denen, welche, wie wir, an eine schnellere und unmittelbarere Verjüngung
unsrer Kultur glauben als die durch den Iahrtausendschlaf Hindurch. B onus

Zum Gedenktage an Dostojewskij

1. Die russische Literatur

^m^ie wahrhaft glänzende und großartige russische Literatur des neun-
>-D^;ehnten Iahrhunderts stellt ein merkwürdiges Problem, sobald man
jie mit Rücksicht auf die russische Revolution und deren Verlauf be-
trachtet. Wo ist das alles hingekommen? Wo ist die enorme Begabung der
gebildeten Schichten geblieben, die sich in ihr äußert? Wie tief hat diese
Literatur überhaupt in das eigentliche Volkstum hineingereicht und eine
allgemeine Begabung des Volkes widergespiegelt? Wo ist insbesondere
das bei Tolstoi und Dostojewskij so stark hervortretende religiöse Element
geblieben, um deswillen man bei uns gerne die Russen als das einzige noch
stark religiöse Volk der Kulturwelt Luropas bezeichnete? Die Antwort ist
bei unserer doch immer mangelhaften Kenntnis Rußlands überhaupt und
des heutigen Rußlands insbesondere schwer zu geben. Aber das Problem
ist ernst und von allgemeiner Bedeutung. So mögen einige Mutmaßungen
erlaubt sein, die sich auf da und dort aufgegriffenen Beobachtungen stützen.

Gewiß kann man sagen, daß die eine solche Literatur tragenden Schichten
schon seit der ersten russischen Revolution zurückgedrängt und daß sie dann
in dieser zweiten nahezu vollständig ausgerottet worden sind. Aber warum
war die russische Bildungsschicht so schwach und konnte sich so wenig
durchsetzen? War die große Literatur uicht schon lange vor jeder Revolution
im Niedergang? Zeigt nicht der heute hervortretende scharfe Gegensatz
von Gorki und Mereschkowsky, daß die geistigen Schichten obendrein noch
sehr tief in sich verschieden siud uud daß der Zyuismus Gorkis wohl breitere
Schichten beleuchtet als die apokalyptische Religiosität Mereschkowskys?

Ich glaube, man wird sagen dürfen, daß das eben Literatur und vor
allem Literatur war und, wie alles bloß Literarische und Künstlerische, nicht
allzu tiefe völkerpsychologische Schlüsse erlaubt. Vor allem zeigt sich
in ihr der ungeheure Fluch des Nikolaitischen Despotismus, der über-
haupt nur Literatur und ungefährliches Gedankenspiel erlaubte, der die
Talente auf diese Bahn drängte und ihnen keine praktische Arbeit, ja
nicht einmal die Anpackung wirklich ernster Probleme erlaubte. Es ist
ein spielerischer Charakter in all dieser Literatur und in der philosophiere-
den Belletristik, wie sie etwa die sehr schwankenden und leicht gezimmerten,
aber äußerst geistreichen Lssays Kirejewskys aus den dreißiger bis sünf-
ziger Iahren zeigen. Als dann später dieser Zwang nachließ. stürzte
sich alles auf praktische Reform und Revolntion, und die Enttäuschung
spiegclt sich dann wider bei Arschibazew literarisch und nun recht zynisch
und skeptisch.

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