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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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Nidden, Ezard: Russisches
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Schumann, Wolfgang: Josef Popper: zu seinem Tode
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0338

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Aus d«r Bolschewikenzeit stammen zwei zusammenhängende Bücher eines
biZher kaum bekannten Verfassers, Biktor Panin („Die schwere
Stunde", Verlag P. Cassirer; und: „Die Sühne", Verlag A. Seehof k Co.,
beide Berlin). Künstlerisch sind beide recht unbedeutend, aber als wir
danach verlangten, das Bild der neuen Erlebnisse, der Verarmung, des
gesellschaftlichen Rmschwungs, der Zerstvrung aller Grundlagen, der Um--
bildung der Sitten und Gewohnheiten, all dieses einmal rein menschlich
ohne Zahlen, Programme, Phrasen, Prophezeiungen, Zeitungstilistik und
Parteifarben zu sehen, brachte Panin die erste Kunde mit jenem realistischen
Großstadtroman „Die schwere Stunde", der Aufkommen und tzerrschaft
des Bolschewikentums in seiner Wirkung auf ein bürgerliches Mittelstand--
leben deutlich und einfach zeigt. Und in der „Sühne" fanden wir die Ge-
schichte einer kommunistischen Siedlung vor den Toren der Hauptstadt,
das neue Leben der Arbeit und Gemeinschaft unter den Gesetzen neuer
Wertung, von innen bedroht durch die steten Wühlkräfte menschlicher Bos-
heit, von außen durch die Truppen und Trupps gegenrevolutionärer Aben-
teurer. Auch hier stofflich viel Interessantes.

Die „Dekadenten"--Literatur der letzten fünfundzwanzig Iahre — ihre
Träger nannten sich selber so, sonst würde ich das Wort vermeiden — ist
zerfallen, zersplittert; in den tzauptstädten Europas leben einige ihrer
Träger fern dem Boden, der Luft, dem Lebenszusammenhang, aus dem
allein alles große russische Schrifttum erstand und erstehen konnte; die
noch in Rußland sind, scheinen verstummt mit dem Milieu, dem sie zumeist
angehörten. Wir vermögen menschliches Mitleid mit ihnen zu haben;
ihr Schaffen können wir entbehren. Nicht ohne Ehrerbietung sehen wir
den einzigen ganz Urgewachsenen dieser Zeit dem Heimatboden und dem
Volk eine bittere Treue halten, dem er entstammt, Maxim Gorki. Möge
er die Krast haben, noch der wahrhaftige Schilderer des Neuen zu werden,
wie er der rückhaltlose seiner Iugendwelt gewesen ist. Von neuen Keimen
hören wir einstweilen nur durch die Zeitungen und durch Manifeste aller
Art. Ohne ihnen sonderlich zu vertrauen, dürfen wir dennoch glauben,
daß sie nicht unrecht haben. Im neunzehnten Iahrhundert ist Rußland
erwacht. Mit gewaltiger Kraft hat es Höhen des Schöpfertums erschwungen,
wie sie nur ungebrochenen Urkräften erreichbar sind. Und sinnlos wäre
es zu glauben, daß sie nun im Strudel einer noch so wilden Amwälzung
schon versiegen könnten. Der Geist der Völker, einmal emporgeflammt,
mag ein paar Iahre schwälen in brandigen Träumen — Stürme dieser
Art töten ihn nicht. Ezard Nidden

(Weitere Bücher werden im Büchertisch dieses Heftes angezeigt. E. N.)

Josef Popper

Zu seknem Tode

^».n einem der reizvollen Exkurse, aus denen sein Buch über Voltaire
^L besteht, stellt Popper die beiden Klassen der Verstandesgenies und der
^FPHantasie-- und Lmpfindungsgenies auf. Er räumt den letzteren
ein, daß sie ästhetisch interessanter sind; er weiß, daß sie unentbehrlich
sind; er gesteht zu, daß beide Kategorien für den menschlichen Fort--
schritt notwendig sind, daß die Menschheit keine von beiden auf die Dauer
entbehren will. Er spricht dem Verstand nicht grundsätzlich eine „höhere"
Sendung zu. Aber gerade in unserer Zeit, deren romantische Zerrüttetheit,
deren zerrissene Anklarheit er beklagte (und, ein wenig eng, vorwiegend
 
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