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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 3 (Dezemberheft 1921)
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Vom Heute fürs Morgen
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0231

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vom l. Ianuar an beim Buchhändler
oder bei der Post s8 Mk. fürs Viertel-
jahr. Das ist unter den heutigen Ver-
hältnissen ein so niedriger Preis, wie
ihn der Kunstwart selbst nur deshalb
einhalten kann, weil er sich auf die
Weiterverbreitung durch seine Leser
nach alter Erfahrung verlassen
kann.

München. Kunstwart-Verlag
Georg D.W.Callwey

Die Stimme der Schöpfung

er Morgen hat seine Vogellieder,
und dcr Anbruch des Lebens hat
die Musik dcs Kindes. Aus jedem
menschlichen Heim tönt uns dieser Kehr-
reim des Lebens entgegen, in seinen
Klängen reiner Schönheit. Fortwährend
wird dann in der Welt, wie sie der

Mensch gemacht, dieser Blütenflaum
verwischt durch den Anprall ihrer
Staubmassen; diePflanze wirdrauhund '
beschmutzt durch die harte Verührung
des Alters. Und doch flutet dcr Strom
täglicher Erneuerung der Menschheit
ungehemmt in stetem Neugeborenwer-
den. In jedem Kinde pocht das Ewige
einlaßbegehrend an das Tor der
Menschheit, und die Melodie dieser
Morgenbotschaft büßt nichts ein von
ihrem reinen Klang.

Ich fühle heute in meincm Herzen
deu Widerhall, höre den Weckruf des
Lebens aus dem Lachen und Singcn
der Kinder um mich herum. Ich fühle,
daß die Schöpfung ihre wahre ureigene
Stimme in ihnen findet — denn sie
hält au ihr Herz geschmiegt den Geist
der Kindlichkeit. Tagore.

Unsre Bilder und Noten

t^l^^it dem Blatt nach der altrussischen Madonna vor unserm Heft
/ » zeigen wir dem Leser, was ihn zunächst befremdcn mag, worin er aber
^"^^bald ungewöhnlich Schönes, ja Großes erkennen wird. Der bhzanti-
nische Stil ist noch hcute in der russischen Kirchenmalerei Äberlieferung, meist
aber wird er, der ja in seiner Iugend schon eigentlich ein Altern war, das>
Altern der antiken Malerei, ganz mechanisch und geistlos nach Regeln und
Nezepten gebraucht. Unser Bild nun ist selber schon sehr alt, aus welchem
Iahrhundert, das läßt sich freilich nicht mit Sicherheit schätzen. Eine Zeiilang
wirkte das russische „Barbaren"-Blut auf den spätgriechischcn Stil verjüngend,
unser Bild scheint aus dieser Zeit zu sein. Wie diese Verjüngung znr Geltung
kam, darauf deuten die Gesichter. Der nötige Abstand, wie ihn der kirchliche
Raum von selbst ergibt, und das Antlitz der Gottesmuttcr wie das ihres Kin-
des, beide wurden jung und licblich. Um sie aber wirken alle diese Abweichun-
gen von der Natur nicht als Unbeholfenheiten, auch nicht als Manier, sondern
ganz und gar als echter Stil! Versteht man nicht hier, was der Kubismus
will und kaum erreichen kann? Iahrtausende sich hingebender, bctender, suchen-
dcr Menschengcfühle klingen hier wie mit Gesängen aus altersdunkeln Vogen-
hallen. Aus weiter, weiter Ferne schimmert sogar die edle Antike mit ihrem
Hellenentum noch seltsam, wie aus dem Frühling herüber. Ls ist cin an inneren
Werten ungemein rciches Wcrk. Wer sich mit altrussischer Kunst etwas näher
beschäftigen will, dcr sei auf den ersten Band des „Orbis pictus", jcner „Welt-
kunstbüchcrei", hingcwiesen, die Paul Westheim bei Ernst Wasmuth in Berlin
herausgibt.

Das Krippenbild von Ignaz Taschner soll ein crstes Mal auf den großen
Band über ihn hinweisen, den Ludwig Thoma und Alerander Heilmeher mit-
einander bei Albert Langen herausgegeben haben. Wir 'kommen auf Taschner,
den Anvergeßlichen, und insbesondere auf diesen sehr schönen Band zurück.

Unsere eigentliche Vilderbeilage bringt zunächst eine Anzahl von Plastiken
von August Gaul, dann eine Anzahl seincr Steindrucke in Verkleinerungen
nach dem Ramlerschen Tier-Fabelbuch, das bei Paul Lassirer in Berlin her-
ausgekommen ist.
 
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