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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1922)
DOI Artikel:
Andreas-Salomé, Lou: Aus Lou Andreas-Salomés "Stunde ohne Gott"
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: See- und Landmächte: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0412

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Als spat nochmals die Mutter eintritt, nur hinter dem zurückgestellten
Bettschirm die kleine verdunkelte Birne andrehend, weiß Ursula nicht, ob
sie noch wach liegt oder schon geschlafen hat. Sie blinzelt: in voller Kleidung
ist die Mutter, — also der Vater noch nicht da! Doch — er ist da: maw
spürt's an einem feinen, leichten Zigarettenduft dieser Kleider. Drauf
verkrampft sich in Arsula etwas feindselig — —.

Prüfend beugt die Mutter sich übers Bett, kaum merklich küßt sie die
anscheinend Schlafende. Aber — macht das nun die Nacht und Stille,
— es ist durchaus nicht, als ob die Mutter selber da sei. Eher, als habe
die da drinnen nur eine ähnliche hereingeschickt, die nun für die Küsse an

Ursula aufkommen soll, während die eigentliche '-. So ein armer Wicht

von Kuß, er könute fast jedem gehören —. Und die Hand — warum
streichelt sie sie denn nicht — ? Sie schaut ja auch gar nicht aus, als
ob sie streicheln möchte, so schlaff wie sie da auf der Bettdecke liegt —.
O, Rrsula sieht alles! Es ist nicht mehr „ihre" Hand, nicht die, drin ihr
Fäustchen es mal so gut hatte, rund umschlossen von den mütterlichen
Fingern —.

Als die Mutter sich erhebt, blinzelt Nrsula vorsichtig wieder. — Ob-
gleich die Mutter noch in Kleidern ist, so ist doch ihr tzaar gänzlich zerrauft.
And ist sie nicht blaß? Aber doch auch so froh! Lrblaßt vor lauter Froh-
sein, — vor Seligsein geradezu. Ob das wirklich nur ist, weil sie nochmal
herein konnte und Ursula küssen —?

Ins Dunkelgewordene — nachdem die Mutter schon gegangen ist —
lauscht sie noch. Ietzt mit weit offenen Augen. Durch die untere Tür-
spalte zum Wohnzimmer hin dringt kein Lichtschimmer. Dennoch ist es
von dorther, daß man einen leisen, lachenden Laut vernimmt. Ietzt ist
es auch, als bewege sich noch jemand hin und her.

Die dunkle Stille beginnt um Ursulas Ohren zu schwingen wie Musik.
An Musik, die vom Iahrmarktstreiben herüberdrang, erinnert es sie, —
und an Seiltänzer und Tiere, an das ganze Paradies —. Ist da hinter der
Tür etwas von all dem Iubel damals? Vor Ursulas offenen Augen ballt
es sich zusammen zu einem verwunderlichen Bild: als tanze da drinnen
jemand zur Musik. Und das Bild beharrt: dunkles Zimmer, verlöschte
Lichter, eine Frau blaß, mit sich lösendem Haar, beseligt geschwungen von
eines Mannes Arm.

Nur daß sie nicht mehr genau erkennen kann, wer die Frau wohl sei —.

Aber als sie einschläft, geschieht's mit glücklicher Verwunderung darüber,
daß das schwierige störungslose Unterbringen der Elternteile doch endlich
irgendwie glückte —. Noch einmal heftet sie den schon träumenden Blick
auf das heimlich tanzende Paar: ist es noch ungewiß, wen die Frau da
wohl darstelle, das Mammele oder am Ende-sie selbst?

See- und Landmächte

Berliner Brief

s ist wieder äußerst kritische Zeit. Ein Europa, das unter dem
»VEDruck des Versailler Friedens steht, kommt nicht zur Ruhe und wird
nie zur Ruhe kommen. Die bekannten Punkte Wilsons wären ein
mögliches Programm gewesen. Aber in Wahrheit hat sie Lloyd George, der
damals seine Kakhiwahlen mit der Parole „der deutsche Kaiser muß ge-
hängt werden und Deutschland muß alles bezahlen" zu machen für gut
 
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