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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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Troeltsch, Ernst: Die deutsche Uneinigkeit: Berliner Brief
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0357

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Man müjzte sich schon auf etwas wirklich Neues einstellen, das An--
widerrufliche der Verändernng anerkennen, das Widerrufliche sich klar
machen und dann dieses zugleich mit der Festigung der Staatsautorität des
Ganzen mit loyalen Mitteln betreiben. Dann könnten die schlimmsten
Gifte und Aneinigkeiten ausgeschieden werden, überhaupt wieder von einem
Staate die Rede sein, an dem wir alle Teil haben, dessen Ersetzung
durch private Machtverhältnisse doch recht wenig wahrscheinlich ist. Aber
gerade das will man in dem verbissenen Ressentiment gegen den inneren
Feind nicht, der angeblich den Sieg verhindert und dann die tzerrenschicht
gestürzt habe. Die letztere sitzt noch fest genug und könnte noch mehr sich
erringen. Die bloße Opposition kann, wie in der französischen Revo°
lution, schließlich doch noch ein Iakobinerregiment erzwingen oder liesert
den Staat in die Hände des Auslandes, der das in seinem und nur
in seinem Interesse verhindert.

Berlin, 6. Iannar i922. Ernst Troeltsch

Vom tzeute fürs Morgen

Dom Leerlaufcn der Gehirnmaschine

er Nervenmcnsch, vollends wenn er
eine stark mechanische Lätigkeit aus°
üben muß, zu der auch gewisse Arten
von Gehirnarbeit gehören, macht an>
sich häufig die Beobachtung, daß anch
in seinen Mußestunden irgend wann
der Apparat leer weiterläuft und mit
sich wohl auch die übrigen Zentren
seiner Persönlichkeit lahmlegt. Es ist
sicher ein Äbel, das sich bei vielen der--
artigen Menschen findet, daß sie auf
der Straße ihre Schritte zählen oder
die Schilder an den häusern oder die
Lntfernungen abschähen oder, wie
einer meiner Studienfreunde zu tun
Pflegte, den vorübergehenden Frauen
Schönheitszensuren austeilen. Solche
Zwangsvorstellungen können aber zu
einer allmählichen Verblödung führen
und es ist nicht überflüssig, gegen sie
^^Empfen. Das gelingt, wenn man
el"e Zeitlang zwingt, ein bestimmtes
wirkliches Erlebnis, wie es sich überall
ausbietet, etwa eine vorüberziehende
Wolke, einen Blumenstrauß in einem
Ladcnsenster, ein kleines Kind in der
Straßenbahn, gefühlsmäßig so aufzu--
nchmen, daß es als Grundton eino
Spanne Zeit zu füllen vermag. Ich
gebe zu, daß so etwas gelernt sein muß
und daß cin gewisser Aufwand von-
Willenskrast nötig ist, um den geheimen
Mechanismus zugunsten einer seelischen
Bewegung auszuschalten, aber schlicßlich

ist die Errettung unseres Gefühlslebens
von der Aberwucherung durch die Nur--
Motorarbeit im Gehirn eine kleine
Willensanstrengung auch wert. F

Nach den Molidre-Feiern

ein, zum Lhauvin ist der Deutsche
nicht begabt. Änsere Zeitungen
rechts wie links, unsere literarischen
Vereine, unsere Bühnen, sie hätten den
dreihundertsten Geburtstag Molieres
kaum noch eifriger feiern können, wenn
der französische Poet ein deutscher Poet
gewcsen wäre. And wie man bei dieser
Gelegenheit der französischcn Kultur
gehuldigt hat, das wies kaum irgendwo
auch nur mit einem streifenden Wort
hin auf die uns entfremdenden Ent--
wicklungen dieser französischen Kul--
tur seitdem. Der Wille zuni „guten
Europäertum" war während der Mo--
liere-Feiern wach, stören wir ihn nicht
durch kritische Bemerkungen in seinen
Gehversuchen!

Es würde sich verlohnen, häufiger
und eindringlicher als geschieht, dem
Wechscl des Bildes „Ansterblicher" in
den verschiedenen Generationen nach--
zugehen. Vcrlohnen uicht so sehr um
der „Ansterblichen" willen, als wegen
der Aufklärung, die wir aus solchen
Vergleichen darüber gewinnen könnten,
was denn eigentlich die „Ewigkeit"
eincs Nachruhms und damit das Fort-
wirken einer Genialität bestimmt.

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