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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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Müller-Würdenhain, Karl ...: Die Sehnsucht nach der Volkskirche, [2]: Die Kirche und die Willensformen
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Nidden, Ezard: Russisches
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0332

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damit, was zum Lichte will, nicht abermals, von der offiziellen Christlichkeit
zurückgestoßen, dem Titan verfalle. Durch unsere Trägheit aus seinem Licht--
fluge in die Verzweiflung gestoßen, mußten sie unsere Ankläger sein, weil
wir den unverkannten Christus abermals dem Abgrunde überantworteten.

Wir sehnen uns alle nach solcher Volkskirche. Wir sehnen uns nach
dem Kelch, der dienend zur Aufnahme des neuen Inhalts sich biete,
und nach dem gefüllten Kelch, aus dem alle dann das Abendmahl neuer
Gemeinsamkeit des Zukünftigeu trinken könuen, nach dem Gemeinsamkeits--
kelch, der das ganze Volk, die Menschheit am Ende, vereine. Iede innere
Wirklichkeit, auch die jetzt erwachende, muß ja „Fleisch werden", muß
Organismus werden wollen. Die Wirklichkeit der neuen freien Gliedhaftig--
keit und gliedhaft dienenden Freiheit sehnt sich nach dem Gefäße, das zu--
gleich Werkzeug sei. Sie muß Fleisch werden, besser, allseitiger, als bisher
in diesen Kirchen und in jenen Programmen. Daran wirkt der ewige
Christus ewig, so Fleisch zu werden unter den Menschen.

Es muß unsern Kirchen gesagt werden: Ihr seid noch
nicht Kirche. Ihr seid nicht christushaft genug, ihr haltet an seinem
Namen und an seiner Formel fest, statt euch seinem schreitenden Leben zu
öffnen. Volkskirche werden kann nur die Kirche, die ihm dienen will bei
seiner Fleischwerdung, die in echter Prophetie die Bahn ihm bereitet, in
echter Prophetie all denen die tzand reicht, durch die der Unsichtbare
jenem Ziele zuwirkt. Nur die Kirche lebendiger Prophetie kann Volkskirche
sein. Werdet lebsndig und offen, es ist die letzte Stunde! Der Strom
des Lebens ist daran, sich seinen Weg zu bahneu neben euch Kirchen
vorbei; springt hinein, ehs es zu spät ist, ehe ihr stehen müßt, im Griffe
nach höchstem Anspruche barock erstarrt, Gegenstand des Kopfschüttelns der
Vorüberschreitenden: „Dieser hub an zu bauen und hatte nichts, es zu voll--
enden." Denen ihr noch etwas geltet, die müssen am dringendsten euch bitten.

Werdet ihr es nicht sein, so müssen ja andere Organismen werden,
dafür sorgt, der dem Nichtseienden ruft, daß es sei. Es wird kommen,
was wir ersehnen müssen, und sei es nach neuem Schlafe vou Iahrhunderten
und Iahrtausenden. Es greist ja schon nach uns.

Nach mir, nach dir, mein Bruder! Müssen wir uns nicht alle rüsten,
ihre Glieder zu werden, die unsichtbar im Kommen ist und ewig im
Kommen war? Es muß aber noch etwas an mir und dir geschehen, bis
wir Mund, bis wir „Wort" geworden sind des Ewigen.

Karl Müller- Würdenhain

Russisches

^vv^as immer nach dem Niedergang der russischen Dichtung, der mit
V I HAnfang dieses Iahrhunderts von Iahr zu Iahr deutlicher wurde,
und nach dem Stillstand von heute die Zukunft bringen mag,
ihrer stärksten Werke werden wir noch lange gedenken. Es bleibt ein ge-
schichtliches Schauspiel ungewöhnlichster Art, wie da in einem Iahrhundert
das Schicksal eines großen Volkes Gestalt und Wort wurde, wie eine knappe,
aber erlauchte Reihe von Lrzählern gleichzeitig einen Stil, einen Typus,
eine literarische Atmosphäre hervorbrachte, Geschichte machte und in ihren
höchsten Schöpfungen zur Offenbarerin geistiger und seelischer Werte von
absoluter Tiese wurde. Das Bild dieser einzigartigen Entwicklung —
der Frucht aus dem zeugenden Zusammenstoß östlicher Natur und §Sraft

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