Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1922)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Eros
DOI Artikel:
Der Weltangstschrei
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Die deutsche Uneinigkeit: Berliner Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0351

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
verlasse-n, und die große schmeckt mir auch besser, seitvem ich die iieine Kreuii-
din vor mir stehen habe. Werdet ihr mir daS glauben? Mir scheint:
daS große Unheil, daS unter den Menschen hin und wieder streift, muß vor
diesem Ding da einen gewaltigen Respekt haben! Denn seitdem ich es
besitze, geht's mir ganz leidlich.«

And da die beiden Wanderer immer noch niedergedrückt dasaßen, fuhr
der Mann fort, indem er seine frühere trotzige Miene verlor, und sich
mit vorgebeugtem Oberkörper wie ein alter zärtlicher Freund mit seiner
Rede an sie wandte:

„Folget dem Satz: »Begegnet dir in deinem Leben auch nur ein heiterer
Tag, so sei zufrieden und lebe von diesem einen!«"

Die beiden Freunde sahen ihm mit süß-trauriger Miene in sein jetzt
so freundliches Angesicht, und er sprach weiter zu ihnen:

„Habt ihr denn nie eine Nacht genossen, von der es heißen kann:
»O einzige Nacht meines Lebens, wie süß war sie! Sie ersetzt mir -alle
andern meines Daseins!« habt ihr denn nicht eine solche Nacht und einen
solchen Tag in euerer Erinnerung? Lebet von dieser Nacht und von diesem
Tag; es genügt!"

^Wir hatten einen solchen Tag und eine solche Nacht!" erwiderten die
Wanderer, und die Tränen liefen ihnen über die Wangen. „Aber das
gibt uns den Trost nicht, den wir suchen; und wir hören den Weltangstschrei
noch hier im Licht, wie vorhin draußen in -der dunkeln Nacht!"

(Aus den „Phantasien eines Realisten". Verlag C- Reißner, Dresden.)

Die deursche Llneinigkeit

Berliner Vrief

^M^as System der Amerikanisierung Deutschlands, wie ich es das letzte
>-H^Mal schilderte, hat seine ersten großen Widerstände gefunden.

Die Forderung der Äbergabe der Reichseisenbahnen aus der Hand
des Staates an einen Trust der Industrieführer hat den heftigen Wider-
stand der politischen Vertretung und Regierung sowie der Eisenbahner
selbst hervorgerufen. Betriebstechnisch mochte der Vorschlag manches für
sich haben, politisch hat er die Augen geöffnet und den Widerstand des
staatlichen Gedankens, freilich auch der ihn für sich in Anspruch neh-
menden Interessen, geweckt. Die Reichsregierung hat denn auch ihrerseits
sich genötigt gesehen, die ungesundsn Verhältnisse in Post und Eisen--
bahn, die ihr natürlich längst bckannt waren, offen anzuerkennen, die Fi-
nanzen beider Betriebe durch enorme Erhöhung der Tarife zu sanieren
und die durch die schematische tzandhabung des Achtstundentages ganz
verschobenen und überbelasteten Beamtenverhältnisse in einer großen
Reform zu ordnen. Das Reichsverkehrsministerium veröffentlicht zu diesen
Fragen eine Reihe von „Schriften und Mitteilungen", die den Titel
führt „Die Reichsbahn". Die Mitteilungen sollen ganz objektiv die
Mittel zur Beseitigung des Defizits erörtern und glauben an diese Mög-
lichkeit. Der Valutasturz, der für die Industrie in Sewissen Grenzen,
d. h., soweit sie in Rohstoffen eingedeckt ist, förderlich sei, sei für die
Reichsbahn katastrophal; aber mit einer Stabilisierung der Währung und
einer inneren Reform, zu der vor allem die Anterscheidung von Arbeits-
bereitschaft und wirklicher Arbeitsleistung als zweckmäßige und sachliche
Auslegung des Achtstundentag-Prinzips gehöre, könne die Reform und
 
Annotationen