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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 1 (Oktoberheft 1921)
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Avenarius, Ferdinand: Aus dem "Jesus"
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0057

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Iesu Stiinine:

(sobald sie ertönt, sinten alle nieder)

Gb einsanr ihr nnö ob verlassen seiö —

Ruft cner Hcrz nrich, bin ich schon bei euch.

Dic lvahrheit schaut, öie Liebe liebt.

Des Vaters Geist, öer heilige Geist,

Ans ist er nun erwacht:

weckt ihn in allcn völkern, bis dereinst

Dic Menschheit rvirö cin einziges heiliges lvir.

Lin Lrgriffener:

Dic lvahrhcit schaut.

Lin anderer:

Die Liebe liebt.

Line öritte Stinrrne:

Lr ist bei uns

Iohanncs:

And blcibt.

Vom tzeute fürs Morgen

Die übersehene Aufgabe

enn wir jetzt auf die Fahre zwi-
schen l87s und zurückschauen,
so kommt wohl allen zum Bewußtsein,
daß uns eine große, heilige Aufgabe
gestellt war. Wir hatten die Ver--
söhnung zwischen Bürgerschaft und
Proletariat aufzurichten. Daß wir
diese unsere weltgeschichtliche Pflicht
nicht erkannt und viel zn wenig ge-
tan haben, um sie zu erfüllen, das
ist vielleicht dic schwerste Schuld, die
auf uns lastet. Ansere soziale Gesetz-
gebung bedeutete crst Anfänge, nicht
mehr. Es wäre der höchste Triumph
Deutschlands gewesen, wenn es uns
gelungen wäre, die soziale Frage im
Bunde von Wissenschaft und Licbe zu
lösen. Wir aber sahen dcr Gärung
des Hasses und der wilden sanskulotti-
schen Wut, wic Lassallc sich einmal
ausgcdrückt hat, verständnislos zu. Nun
geht es uns wic dem Kinde, das die
ihm vorgesetzte Speise nicht essen wollte
und dem sie wieder und wieder hin-
gestellt wird, bis es zulangt. Von
wievielen sozialen Fordcrungen, deren
Gerechtigkeit wir jetzt nnter den
schwierigsten äußeren Verhältnissen
ancrkcnnen, haben wir damals ge-
meint, sie seien „undurchführbar"!
Man muß die Lebenserinnerungen der
Arbeiter Vromme, Holek und Reh-

bein lesen, die bei Diedcrichs in Iena
von Paul Göhre veröffeutlicht wordcn
sind, um von brennender Scham dar-
über ergriffen zu werdcn, daß die von
ihnen ganz schlicht und ganz wahr
geschilderten Zustände in der Fabrik,
Ziegelei und auf dem Gutshofe mög-
lich waren, nnd daß weder Staat noch
Kirche helfen wollten oder helfen konn-
ten. Ietzt wissen wir alle, daß keine
Gegenrevolution imstande sein wird,
die alten Verhältnisse zu erneuern.
Wir müssen uns vertragen und uns
gcmcinsam den Weg in dic Iukunft
hinein bahnen. Die übersehene Auf-
gabe schreit nach ihrer endlichen Lö-
sung. Was wir hiezu tun werdcn,
wird zunächst eine Leistung für uns
selber scin. Aber wir werdcn damit
zugleich weit über unsere verengertcn
Grenzen hinübergreifen, denn nnsere
Not ist nicht nur Volks-, sondern Völ-
kernot. So zeigt sich mitten in unserer
Niederlage ein Wcg hinaus in die
Welt — die gedemütigten Deutschen
werden schneller, als sie es gedacht
haben, wieder an die Front gerufen.
Der Weltkapitalismus feiert Orgien
wie noch nie. Indem er über geistige
Werte, moralische Forderungen, reli-
giöse Gebote rücksichtslos hinweg-
schreitet, ruft er alle Mächte der Ge-
rechtigkeit gegen sich auf. Lr faucht
 
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