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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 3 (Dezemberheft 1921)
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Schumann, Wolfgang: Welt-Anschauungen: Bemerkungen über das Künstlerische
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Gregori, Ferdinand: Vom Niedergang des Gefühls auf der Bühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0176

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Sehr gut verstehen wir, warum dies alles so ist. Wir keunen das
Seieude und wir kennen dte Verkettungen, durch die es geworden ist. Der
Geist des künstlerischen Wesens aber würde zu dieser Zeit sprechen: Daß
ihr es wißt, erhebt euch nicht um einer Spanne Höhe über euer Leiden.
Ihr sucht Erlösung? In einer Religion, dir euch das Denken verbietet, in
einer Vergewaltigung eurer Seele, die ihr nicht ertragt, in der eiskalten
Einsamkeit dcs Gedankens, die nur Berufene überstehen, in der wirren
Geschäftigkeit des Tages und Iahres, die euch zerreibt. Hier ist sie!
In Erlebnis und Schau:

„Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,

Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt:

Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit

Der Dichtung Schleier aus der tzand der Wahrheit."

WolfgangSchumann

Vom Niedergang des Gefühls auf der Bühne

anz langsam nur, nach Iahr und Tag, treten die bösartigsten Gifte,
I V^mit denen der Krieg den Körper unsres Volkes verseucht hat, in den
^-^Schwären der Seele zutage. klnwiederbringlich ist, was von derjungen
Mannschaft des ersten Aufmarsches dahinging, auf der sich die nächsten
dreißig Iahre aufbauen sollten — unsere tzerzen krampfen sich, wenn wir
an die Knaben denken, die um des Vaterlandes willen die Schulbank ver-
ließen und nach wenigen Wochen - da und dort sträflich unbedacht —-
hingeopfert wurden. Der alternde Teil des Volkes wiederum, von fünfzig--
jähriger Arbeit erschöpft, der seinen Lebensabend in bescheidener Stille
hinzubringen gedachte, muß, weil Ersparnisse und Versicherungen fast
nichtig geworden sind, mit halber Kraft sein Tagewerk bis ans Ende weiter
tun. Wer zwischen diesen Altersstufen steht, sucht, eines vom andern
lernend, einer den andern belauernd, die Entwertung des Geldes auf
allerlei, auch auf skrupellose Weise auszugleichen und begibt sich dabei
nur zu oft der sittlichen Grundsätze, die einem verantwortungsbewußten
Gesellschaftsverbande notwendig sind.

Alles das ist schlimm und tut weh; besonders weh demjenigen, der nach
den vielen Schwierigkeiten und Entbehrungen sich seinen inneren Men--
schrn bewahrt oder wiedergewonnen hat. Er möchte allen, die jetzt auf
Abwegen wandeln, zurufen: es läßt sich mit gutem Willen und anspruchs--
losen Sinnen auch heute noch leben, ohne daß man sich dem Gelde bis
zur völligen Verödung der Seele verschreibt. Aber was wäre auch ge--
rettet, wenn er die Dreißig- und Vierzigjährigen überzeugte und zu sich
herüberzöge! Das Allerschlimmste kann er weder wenden noch aus der
Welt schaffen. Wir körperlich Reifen haben ja die vier, fünf Iahre des
tzungerns — die hatten auch uns arg zugesetzt — überstanden und sind
beinahe wieder in die alte Form geschlüpft; wessen Geburtsjahr aber
zwischen 1900 und 1920 liegt, der wird — so scheint es leider — sein ganzes
Leben durch nicht darüber weg kommen. Ilnd wenn man weiter denkt, an
die Generation, die aus den heute Ein- bis Zwanzigjährigen hervorgehen
wird, und noch eine Generation weiter, und wieder —!? Wir haben ja
auch Säfte unsrer Groß- und Urgroßeltern in uns!

Materie nie ohne Geist, Geist nie ohne Materie. Es fehlt an Kraft
hier wie dort. Man hat die Arbeitszeit der Iugend schon eingeschränkt

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