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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 6 (Märzheft 1922)
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Bonus, Arthur: Der erste Brudermord: eine "Ehrenrettung" Kains
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Schumann, Wolfgang: Max Arends "Gluck"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0398

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mord aus religiösem Eifer. Er ist die tzauptsünde dieser ganzen Lnt-
wicklung geworden: In keiner Religionsbewegung hat sich die religiöse
Verfolgungssucht so ausgebildet wie in der jüdisch-christlichen.

A. Bonus

Max Arends »Gluck"

^^m pathetischen Stil müjzten wir schreiben: Das Schicksal wollte nicht,
^tdaß Gluck verloren bleibe, da ließ es einen Mann von unerhörter
^FFeinhörigkeit für Glucks Wesen und von unerhörter Zähigkeit ge-
boren werden, der die Kraft eines ganzen Lebens keiner andern Aufgabe
widmete als der einen: Gluck wiederzufinden. Im Tone unsrer Zeit: vor
unsern sehenden Augen begibt es sich, daß ein Forscher unter außerordent-
lichen Schwierigkeiten, mit aller Kraft der Einfühlung und der methodischen
Arbeit das geschichtliche, das menschliche, das künstlerische Bild Glucks
zu reinigen, ja überhaupt erst zu schaffen unternimmt, daß er Iahre und
Iahrzehnte dieser Mühsal widmet, daß er jedes Iahr neue Entdeckungen
macht, immerfort seine Anschauungen vertiest, ständig Vorurteile zerstört,
ohne Unterlaß wirbt und wirkt für seinen Meister . . . und daß die musi-
kalische und theatralische Welt ihn nicht hört. Es ist zum Lachen und
Weinen zugleich. Aus einem Wust von Irrtümern, von Albernheiten,
von Einbildungen, zum Trotz einer gleichgültig-verständnislosen Lauheit,
Mattheit und Ahnunglosigkeit arbeitet Max Arend seit vielen Iahren
das wahrhaftige Bild eines Genies von höchstem Rang heraus, dessen
Werke weit, weit mehr Leben und unvergängliche Größe, unmittelbar
zwingende Kraft und Schönheit atmen als die seiner sämtlichen Zeitgenossen
und Zehntausender von Nachfahren, eines Genies, das mit seinen stärksten
Schöpfungen selbst das Durchschnittschaffen eines Mozart im Vorhinein
überholt, wo immer er kann, sucht Arend diesen seinen, den echten
Gluck vor philologischen Verzeichnungen zu schützen, den archivalischen
Monopolisten zu entreißen, dem Leben wiederzugeben, und unsere Zeit,
sonst so gern bereit, sei es auch nur dem „Reiz" irgendeines früheren
Schaffens sich hinzugeben, unsere Zeit des Bach-, des Händel-, des Mozart-
Kults, will von dem Gluck, der uns da als ein ganz neu Entdeckter ge-
schenkt wird, nicht hören! Wir, die Wenigen, die ihn hören, die ihn ahnend
begreifen, stehen vor einer Art Rätsel. Ist man denn so überreich an
Erschütterndem und Echtem, Unvergänglichem, daß man leichten Herzens
verzichtet? Ist es irgendwie schwerer, zu dem klaren, einfachen, großzügigen
Dramatiker Gluck zu gelangen, als zu dem weit zeitgebundeneren Oratorien-
schöpfer Händel, dem weit kirchengebundeneren Kantatenschöpfer Bach, zu
dem uns im Kern weit ferneren Rokoko-Menschen Mozart? Oder liegt
all diese Stumpfheit nur in den Umständen begründet, daß die Werke
anderer alter Meister in billigen Ausgaben leicht zu haben sind, daß andere
alte Meister mehr „Haus"-Musik, mehr Werke für Klavier, Quartett, Einzel-
gesang hinterließen, während freilich der stete Unverstand unserer Philolo-
gen Dutzenden von toten und nie zu belebenden Tonsetzern dritten Ranges
„Denkmäler" in Form gleichgültiger Neuausgaben setzte, Gluck aber sträflich
vernachlässigte, und während Glucks Auferstehung davon abhängig scheint
— scheint! —, daß die Opernbühne zuerst einmal sich seiner annehme?
was sie natürlich nicht tut, bevor nicht ein „Rummel" irgendwelcher Art
diese jämmerliche Einrichtung der Vergnügung und des Geldgewinns

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