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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 6 (Märzheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Max Arends "Gluck"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0399

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dazu zwingt? Bis dieses Rätsel gelöst ist, bleibt uns denn nichts übrig,
als immer wieder zu wiederholen, daß in Glucks Werken eine solche un-
faßliche Fülle geballtester musikalischer Gestaltung von Charakteren, Schick--
salen, Tragiken und Leidenschaften steckt, daß in dieses Genies Wirken
ein so vorbildliches, reines, kluges und überlegen--starkes Künstlertum völlig
überzeitlicher Prägung fühlbar ist, wie es nur die seltenste Gnade des
Geschicks uns im Iahrhundert einmal bescheidet. Und sonderlich heute,
da immerhin etwelcher tieferer Ernst zuweilen aufglüht und nach Wider--
hall fragt, sollte heute nicht die Seherstimme Glucks endlich „zeitgemäß"
sein? >

Eins freilich muß man zugeben: ganz „leicht" ist Gluck nicht zu erobern.
Wie er von der Bühne, die seine Werke herausbringen will, gesangliche
Knltur, schauspielerische Leistungen, eine mühevolle Inszenierung und einen
vollkommen überlegenen, starken Dirigenten fordert — seine Werke sind
zum äußersten „empfindlich" und verlieren, wegen der beispiellosen Knapp--
heit des gedrängtesten Ausdrucks, durch saloppe Darbietung sofort uner--
meßlich an Wirkung! —, so verlangt er auch vom einzelnen Zuhörer und
noch mehr vom Liebhaber am Klavier gespannteste Aufmerksamkeit, Hell-
hörigkeit, Phantasie, angestrengte innere Mitarbeit, gelegentlich gar eine
Art „Studium" als Vorarbeit. Aber, all dies leisten doch schließlich
Viele für andere Meister. . . .

Den Anlaß zu diesen Bemerkungen gibt uns das Erscheinen einer
Biographie Glucks, die Max Arend schrieb (Schuster uud Löffler, Berlin
(92(, 276 S.). Arend selbst bezeichnet sein Buch als „ein Lebens- und
Herzenswerk". Mit bestem Recht. Aberall sieht man Früchte einer langen
und mühsamen Arbeit, die meist erst die Grundlagen für ein ästhetisches
Eindringen und Urteilen herbeischaffen mußte, und oft genug spürt man
irgendwie die Unmittelbarkeit eines gerade den Gluckschen Absichten und
Schöpfungen voll und willig erschlossenen Kunstgefühls. Daß die bio-
graphischen Mitteilungeu, zum Teil Richtigstellungen früherer Irrtümer,
ausreichend, die philologischen Darlegungen, ebenfalls vielfach Richtig-
stellungen, wertvoll sind, ja sogar erst die Möglichkeit zu einer vernünf-
tigen Einschätzung Glucks geben, war von Arend zu erwarten. Daß seine
ästhetischen Linführungen und Hinweise jedem Suchenden nützlich sein
werden und die tiefste Vertrautheit mit Gluck verraten, ist nicht minder
selbstverständlich. In diesen Eigenschaften liegen die Vorzüge des Buches,
das heute einzig in seiner Art ist,- denn es gibt kein zweites, dessen Ver-
fasser auch nur annähernd so tief in Gluck eingedrungen wäre oder auch nur,
rein äußerlich, so mit Gluck „Bescheid wüßte" wie Arend. Die meisten
strotzen von Irrtümern, Oberflächlichkeiten, Fehlern und Mängeln. Eine
künftige Gluck-Forschung und -Darstellung wird unter allen Amständen
auf Arend sich stützen müssen. Hinwiederum geben wir rückhaltlos zu, daß
Arends Buch trotz seiner außerordentlichen Verdienste nicht das Gluck-
Werk ist. Es ist eiue vorläufige, eine vorbereitende Schrift. Arend
selbst wird auch das endgültige nicht schreiben. Dazu ist er als Schrift-
steller zu wenig Gestalter und Könner. In ungewöhnlicher Art vereinigt
er in sich die Gabe sorgfältigen Forschens mit der Anlage zu leidenschaft-
licher Einfühlung. Aber die Fähigkeit, auch nur eine Seite ruhig zu er-
zählen, Plastisch zu schildern, packend nachzugestalten, eine Zeit, ein Werk,
einen Charakter darstellend zwingend zu geben, ist ihm nicht verliehen. Mit
einigen vereinzelten Sätzen vermag er hie und da eine Empfindung

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