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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1922)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Ueber Erneuerung und Erlösung
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Müller-Würdenhain, Karl ...: Die Sehnsucht nach der Volkskirche, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0260

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Wesen id-er „Erneuerung", daran festzuhalten, daß sie nur dann allen Stür-
men gewachsen nnd allen Bitternissen gegenüber standfest sein wird, wenn
vorher oder spätestens mit ihr zugleich eine Wissenshaltung gegenüber der
Welt gewonnen wird, aus Wissen geboreu und in wissendem Schauen ver--
ankert eine Festigkeit des Wesens, die jeder noch so satanischen Probe ge-
wachsen ist, weil unser Wesen die Welt einschließlich aller ihrer sata-
nischen Möglichkeiten bejahend umsaßt.

Dies nun ist es, was den allzu „herzlichen" ebenso wie den allzu schnell-
sertigen Predigern der Erneuerung immer wieder gesagt werdeir muß: die
Aufgabe, die ihr stellt, ist uicht nur unendlich in einer Dimension, nämlich
in der innerer Erneuerung schlechthin, und in dieser, weil kein Wesen seine
Vollkommenheit vor dem Tode erschwingt, sondern sie ist es auch und dop-
pelt deswegen, weil die höchsterreichbare, geschweige denn die halbe uNd
noch geringere „Erneuerung" nur wenig Aussicht auf den Frieden der Seele,
auf „Erlösung" in sich schiießt, wenn sie nicht einhergeht mit dem „Friedeu
mit der Welt", den zu erlangen abermals keinem Ernsten vor dem Tode ge-
gönnt ist. Pnd wir wollen auch keine billigere, keine vorläufige, keine
halbe Erlösungl Mit vollem Bewußtsein davon, daß wir die Aufgabe
unaussagbar verschwierigen und der Verzweiflung im Vorhinein einen
Schein — einen Schein — höchsten Rechtes zugestehen, stellen wir den-
noch die u n verminderte Forderung! Gibt es einen Trost in der Not solcher
Lage, die uns das Außerst-Außerste zu fordern zwingt, da wir weder Tat,
noch Wissen, noch tiefste Seelenhaftigkeit preisgeben könnsn, um einen un-
echten Frieden abzuschließen, dann mag es dieser sein: mit solchem, und
nur mit solchem Willen zur Erneuerung, scheine sie gleich ein Ding barer
Anmöglichkeit, dienen wir wohl zugleich der Vorbereitung künftiger Zeiten,
in denen wenigstens „äußerlich" das —niemals den Menschen zu ersparende!

— Werk ihrer Erneuerung den Enkeln und Enkel-Enkeln erleichtert sein
mag; mit solchem. Willen allein schaffen wir mit an der Gottheit lebendigem
Kleid und dürfen wir hoffen, einem Gesetz zu dienen, unter dessen günstigeren
Zeichen Künftige lebenmögen. Denn nicht aus dem Geist der Weltflüchtigen,
sondern einzig aus dem der Weltbejahenden kann eine „Erneuerung der
Welt" geschehen, wenn anders solche der Menschheit überhaupt beschieden ist.

Durch Erlebnis, das nicht ohne Schmerzen den Lebenskern ergreift; ge-
zwungen zur täglichen Tat, die umso bitterer die Qual des Rnrechts jeder
Tat aus uns lädt, je reiner unser ueues Wesen sich entfaltet; der Welt zuge-
wandt mit Sinnen und Gedanken, obwohl sie wahrlich mehr als ein Gleich-
nis nicht ist und obgleich die Nnzulänglichkeit unserer Sinne und Gedanken
gewiß ist; der Aeit verpflichtet und doch ihr nicht gehörend; keinen Tag iu
Frieden und dennoch nach nichts sehnsüchtiger als nach ihm; stockend, tau-
melnd, irrend, mit letzter Kraft uns hin zu dem dunkel geahnten Ziele reißeud

— falle was fallen muß! —, aus solcher Härte der Stimmung allein mag
Erneuerung entstehen und Erlösung erblühen. Wolfg. Schumann

Die SehnsuchL nach der Volkskirche

s ist unzweifelhaft, daß unsere evangelischen Landeskirchen eine Füh-
rerstellung im Geistesleben des Volkes nicht mehr haben. Dem größeren
^""-"Teile der Gebildeten und fast der ganzen Masse der Arbeiterschaft
erscheinen die Organisationen der Landeskirchen kaum mehr wichtig genug.
um sich mit ihnen ernsthaft zu beschäftigen und um mit ihnen zu rechnen.
Wie wir aber auch zu diesen Kirchen stehen mögen, jene Feststellung, das

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