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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1922)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Eros
DOI Artikel:
Müller-Würdenhain, Karl ...: Die Sehnsucht nach der Volkskirche, [2]: Die Kirche und die Willensformen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0329

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senhafte ist zugleich schön und wahr und gut. Dies aber ist nur dann mög-
lich, wenn auch das Gute selbst als ein Maßbegriff gedacht wird, den regu-
lären mathematischen Formen vergleichbar und verwandt. Maße also
durchziehen die Welt. Deshalb ist sie ein Kosmos, d. h. ein geordnetes
Ganzes, in dem alles zusammenklingt zu einer tzarmonie der Formen.
Im Menschen zittert die Sehnsucht uach diesem Lichtreich des geformten,
gesetzlicheu Guteu als (Lros. Es liegt in ihm ein tiefes Sehnen, teil-
zuhaben an diesem Maß und in sich selbst ein Kosmos zu werden, wie
das Ganze ein Kosmos ist. Mikrokosmos — Makrokosmos, beide be-
dingen sich und sind von gleichem Gesetz. Nur wer den Eros hat, trägt eine
Welt in sich, kann eine Welt in sich aufbauen. Denn der Eros strebt nach
Form und Gesetz und Wert, nach der Dreieinigkeit von Schönheit,
Wahrheit, Güte.

Ünversiegbar ist diese aus der Struktur des Uuiversums quellende Kraft.
Iede jugendliche Seele bringt sie neu und unentstellt mit sich. So er°
klärt sich endlich auch ein Letztes: Es mag sein, daß der zufällige Gegen-
stand des Eros — ein Mensch — dem Ideal so fern sei, daß dem Außen--
stehenden seine Erotik ganz irrig und krankhaft scheint. Der Eros selbst
wird dadurch uicht widerlegt. Er ist nichts anderes als die sehnsüchtige
Kraft der wachsenden Seele selbst, die ihre Ideale auch am Unwürdigen
zu erblicken glaubt. Aber das ist nur ein Beweis, daß die Tendenz zum
Idealisieren aus dem Innersten der Seele stammt. Eine von innen ge-
nährte Phantasie breitet den Schimmer des Göttlichen und Erhöhten über
das arme tzier und Ietzt. Es ist eine unerschöpfliche Liebe, mit der die
idealisierende Phantasie in die Welt blickt, schönheitdurstig, gläubig,
schaffensfroh. A.nd wie unter dem tzauch eines belebenden Frühlings-
windes erweckt dieser Eros das Edle überall, wo er hinschaut. Anter
seinen erwärmenden Strahlen geht Leben auf. Daran wird man ihn er°
kennen. Wenn nichts Neues und tzohes durch ihn geboren wird, mag
Leidenschaft da sein und Begehren, aber nicht der echte Eros. Er ist men-
schenbildend und weltbildend; er facht auch den erlöschenden Funken des
Göttlichen von neuem an. Er ist ein Suchrnder und ein Kämpfender;
aber er ist auch ein Äberwinder, und er bleibt Sieger, weil er mit
dem Sinn des Lebens in letzter ästhetisch-religiöser Einheit zusammen-
klingt:

'Lssw; ä'UXLre

Eduard Spranger

Die Sehnmcht nach der Volkskirche

2. Die Kirche nnd die Willensfermen

^»^ie neue Geistwirklichkeit zeigt sich an der Art, die die sozialen
^F^Probleme und der soziale Wille angenommen haben und bezeichnet
die läuternde Krisis im Individualismus durch den Sozialismus.
Bisher galt der Spielraum des individuellen Willens als grundsätzlich
unantastbar. Der individuelle Vorteil und dementsprechende Entschluß
bildeten die als selbstverständlich vorausgesetzten Triebfedern desjenigen
individuellen Schaffens, das doch die Gemeinschaft aus sich erbauen sollte.
Diesem grundsätzlichen Egozentrismns dennoch Gemeinschaftswirkungen ab°
zugewinnen, war Aufgabe der Gesetzgebung. Sie hatte die üppig schießen-
den Zweige des Egozentrismus notdürftig umzubiegen und die wider-
strebenden notdürftig zusammenzubinden. Doch vermochte diese mühselige

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