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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0328

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über den allein die reine Liebe trägr. Dante grüßte Beatrice nur von
fern. Ilnd sie war ihm das Leben. Sie gab ihm jene unselige Seligkeit,
aus der ein weltumspannendes Gedicht geboren wurde. Ihm war ge--
geben, aus der Sehnsucht seiner Seele zu gebären.

Ich wage nicht, über diejenigen zn nrteilen, die den Weg von der Erotik
zum sexuellen Akt auch in einem anderen als jenem geistig-ehelichen Ver-
hältnis um der inneren Wahrhaftigkeit ihres Wesens willen gehen zu
müssen glauben. Die Entscheidung liegt in ihnen selbst und kann nicht
mißverstanden werden: Bewahren sie die reine ungebrochene Kraft des
Eros auch in und nach jenem Schritt, so sind sie von der Natur selbst
losgesprochen. Erlahmt aber die geistige Schwungkraft, indem sie sich
am Einzelnen und Endlichen und Flüchtigen genügen läßt, so liegt darin
der Spruch ihres inneren Schicksals.

Kraft also ist es, aus dem Urquell des Lebens strömende Kraft, die
der Lros verleiht. Und ihre Wirkung können wir noch näher verfolgen.
Denn sie allein erzeugt die Ideale. Dle Kraft, zu idealisieren, d. h.
die Welt und die Menschen im Sinne ihrer letzten Wertmöglichkeiten über
ihre vorgefundene Erscheinung hinaus zu erhöhsn, wird aus dem Eros ge-
boren und nur aus dem Eros geboren. Es mag bloß eine Teilwahrheit
sein, wenn man das Wesen der Welt auf eine sehnsüchtige, schafsende Welt-
phantasie zurücksühren wollte. Aber sie hat ihre Wurzel in einem echten
Grunderlebnis. Indem wir Ideale schaffen, Ideale in die Welt hinein-
sehen, sehen wir nur ihre letzte Bestimmung aus ihr heraus. Diese Be-
stimmung ist dann gleichsam das Blut in unserem Lebensblut geworden.
Wir helsen der Natur zu vollenden, was sie eigentlich will. Aber nur,
wenn unsere Phantasie rsin ist und aus unentstellten Lebenskräften quillt,
gelingt ihr solche Erhöhung unseres innersten Wesens. Nur das sonnen-
hafte Auge sieht die Sonne,- nur der erotische Mensch ergreift das Ideal;
nur die ethische Verklärung ist „echt". —

Um diese Wahrheiten kreist jene gewaltige Gedankendichtung, die Plato
in der Hingabe an den Geist des Sokrates aus seiner Seele schuf. Man
glaube doch nicht, daß er nichts anderes gewollt habe, als Allgemein-
begriffe von den Dingen abziehen und in einem Ienseits noch einmal als
Mustersammlung hinstellen. Man glaube auch nicht, daß es ihm nur
um Gesetze der gedanklichen Erzeugung von Gegenständen zu tun ge°
wesen sei. In seinen Adern floß mehr Blut, nnd seine Seele war eine
plastische, eine bildende Seele. Nicht das macht die Erscheinungen zu
Teilhabern der Idee, daß sie ein Allgemeines an sich tragen, sondern
allein dies, daß in ihnen der eine letzte, höchste Wert gestaltgebend wirkt,
der das Universum von oben bis unten in allen seinen reichen Formen
durchströmt. Aber Formen sind es, d. h. sichtbare, plastische Gebilde,
die man schauen muß. Ilnd wer sie wahrhaft schaut, der erfaßt in
ihnen die ewige Wahrheit des Gesetzes, das sie formte. Es ist kein bloß
logisches Gesetz, sondern ein w er t v e r l e i h e n d es Gesetz. Nur aus
dem Wert kann die Welt zuletzt verstanden werden.

Oder verfolgen wir den umgekehrten Weg! Aus einem einzigen höchsten
Punkte entströmt jene Kraft, die der Vielheit der Dinge zugleich ihren,/
Wert gibt und ihre in Maß- und Wertbcgriffen faßbare Wahrheit.
Ihre sinnlich-plastische Form ist deshalb schön, weil mit dcr Wahrheit
zugleich das Gute durch sie hindurchschimmert. Aus dem Gnten, d. h.
dem höchsten Weltwert, versteht man die Begriffe wie die Formen. Das We°
 
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