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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 1 (Oktoberheft 1921)
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Avenarius, Ferdinand: Zum Thema Talent
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Avenarius, Ferdinand: "Kleine Meisterbilder" und "Weltkunst": zwei neue Kunstwart-Unternehmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0034

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Drittens: angenominen, es bliebe beim Schneiden und Zeichnen, so
wüßte ich doch nicht zu sagen, wie solch eiu Taleut „erzogen" werden
könnte. Durch Kopieren von andern Sachen ganz gewiß uicht, denn da
wäre die Gesahr des Anpasseus an andere Talente. Aber auch durch Natur--
studien kauin, denn bei diesen wäre die Gefahr, daß ein naives Seheu
aus dein inneren Auge durch Korrektureu nach der äußeren Wirklich-
keit vernüchtert würde. Das Besoudre der kleiuen Ingeborg Rahm ist ein
sehr zartes Ldelgut, das inan vor allein schützeu soll. Ich würde für die
Entwicklung gerade dieses Talentes Nahruug aus Poesie, Musik und Er°
leben der Nahrung aus bildeuder Kuust vorzieheu. Was sie von daher braucht,
fangen solche Augen von selbst.

Viertens aber würde ich raten, was ich jedein raten würde, der
Künstler werden will: sucht uin Gottes willen nicht euren Lebeusunterhalt
dabei. Müßt ihr das, so hilft es ja nichts, aber es soll keiner ineinen, er
müsse es, der noch durch ein Handwerk oder ein Amt odev Aintchen sein
Brot und, von Butter zu schweigen, vielleicht auch Margarine darauf verdie-
nen kanu. Winkt später Merkur von sich aus den Musen, so ist immer
noch Zeit zu etwaigen Äuderungen. Laufen aber dem Merkur diese Damen
ihrerseits nach, so gibt das immer irgend ein Unglück auch für den, dem sie
damit helfen wollen. A

^Kleine Meisterbilder" und ^Weltkunst"

Zwei neue Kunstwart-Anternehmungen

^i^er Tiefstand der deutscheu Valuta hat die ursprüugliche Absicht
v^^^unserer „Meisterbilder" jetzt beinah illusorisch gemacht. Iedem sollten sie

zugänglich sein, iu alle Studenten- und Schülerbuden, in alle Arbeiter-
Wohnungen, kurz überallhin sollten sie Licht und vor allenr Wänne echter
Kunst bringen. Nun sind nicht ganz wenige Millionen von ihnen an Hundert-
tausende von Stätten in der Tat gedrungen, und auch zu ihren jetzigeu
Preisen werden sie noch in Mengen gekauft. Aber weun sie auch für
Mk. s.80 und Mk. 2.25 uoch immer die wohlfeilsten Bilder-Anterueh-
mungeu siud, so sind doch Blätter zu dieseu Preisen gerade für diejenigen
Kreise heute nur iu einzelnen Stücken, gewiß nicht iu ganzen Folgen er-
schwinglich, deneu tzausbildereien wahrhaft gediegener Kunst am allenneisten
zu wünschen wären. Man denke an den Gymnasiaften oder Realschüler,
an den Lehrling, der heute viel häufiger als ehedem eiuer Familhe mit
geistigen Ansprüchen angehört, man denke sehr au die heute ost geradezu
darbendeu Studenten, denke aber auch au alle die weiten Schichten von
„Arbeitsmännern", für die seit dem Achtstuudentage Dehmels „Nur Zeit!"
nicht mehr gilt, die dem Auftrieb in sich auch folgen wollen, die aber
trotz den hohen Löhuen bei deu gegenwärtigen Preisen zum Aulegen einer
ausgiebigen „tzausbilderei" doch schwer kommen. Wozu viel Worte: es liegt
ja klar auf der tzand, daß unter den heutigeu Verhältnissen die Forderung
nach noch billigereu Vervielfältigungeu edelster Kunst schlechtweg eine Kul-
kurforderung ist. Was Dürer und Grünewald, was Ludwig Richter
und Moritz Schwind, aber auch was Michelaugelo und Raffael, ja was
Griechen und Agypter, kurz was die Echten und Großen aller Völker und aller
Zeiten geschaffen haben, davon sollten wenigstens die tzauptwerke in ganz
wohlseilen, aber guten Vervielfältigungen als Eigenbesitz zu täglichem Ver-
kehre allen zugänglich gemacht und gehalteu werden, die deu Verkehr mit
dem Edelsten wünschen.
 
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