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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 1 (Oktoberheft 1921)
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Zum fünfunddreißigsten Jahrgange
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0017

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Zum fünfunddreitzigsten Iahrgange

wir beim Gründen des Kunstwarts zusammentraten, waren wir zwar
alle anfrechteLeute, sonstaber einehöchstverschiedenartigeGesellschast.
^^Was hatten wir denn, autzer dem Drange zur Arbeit, gemeinsam?
Wir schrieben allerhand Programme, aber das eigentlich Lntscheidende kam
uns gar nicht zum Bewußtsein: daß wir alle miteinander Ansprnche
machten und das Anspruchmachen verbreiten wollten. Wir
meinten wohl, das verstehe sich, wie Vischern das Moralische, immer von
selbst.

Mindestens heute tut es das aber nicht. Wer sich modisch anputzt, wer
Schnäpse und Zigaretten, wer Kino-„Dramen" und Tanzvergnügen für
schwerer zu entbehren hält, als etwa ein gutes Buch oder ein gutes Blatt,
der ist ja gewiß nicht ansprnchsvoll. Im Gegenteil: er ist sehr anspruchslos,
denn er läßt sich Minderwertiges und linwesentliches für dasselbe Geld auf-
hängen, für das er Mehrwertiges und Wesentliches erhalten könnte. An-
spruchslos ist aber auch, wer sich eineSache mit Phrasen aufpludern läßt, wie
früher der Fleischergeselle die Kalbskeule aufblies, und dann das Aufgeblasene
als stark und fest hinnimmt, während doch ein einziger Gedankenschnitt die
Luft entweichen und ihn erkennen ließe, was solide ist und was Dunst.

Die Leser lachen. „Wenn ihr das so nehmt . Aber nehmen wir's denn
nicht richtigso? Es gibt Kaviar fürs Volk, wenn auch keinen aus Astrachan,
so lange es das Gleiche kostet, Goethen oder die Courths-Mahler zu drucken
und zu lesen, Beethoven und Mozart oder den letzten „Schlager" zu spielen
und heitere oder ernste Gesichte eines Schöpfers zu genießen oder Spekula-
tionen eines Machers. Ob wir in Lebensgemeinschaft mit unserm Volk und
ob in eigenem Wuchs wir mit unsern Persönlichkeiten durchkommen, das
hängt davon ab, ob wir Ansprüche machen und Ansprüche verbreiten
können.

Können. Ia, es gehört einige Kraft dazu, und einige Äbung, und zum
Äben einiger Wille und einige Beständigkeit. Aber wo der Geist reutet oder
ackert, sät oder erntet, gräbt oder bant, und wo er forscht oder wo er kämpft
— es gilt überall. Wo wir uns Modrigem hingeben, gleiten oder sinken
wir, es trägt keinen Fuß. Noch kommt weiter, wer sich bloß hinsetzt und sich
was vormachen läßt. Noch, wer zum politischen oder mystischen Suggereur
läuft, daß er ihm was „eingebe". Kein Nebel macht klar nnd kein Ver-
zichten stärkt. Ansprüche an alles, Ansprüche an nns, Ansprüche um uns

Oktoverheft tS2, (XXXV,
 
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