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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 4 (Januarheft 1922)
DOI article:
Müller-Würdenhain, Karl ...: Die Sehnsucht nach der Volkskirche, [1]
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Polenske, Karl: Ein Weg zur Freiheit für alle
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0265

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endlosen Wüstenstraße durch die Iahrtausende der Menschheit vor die
Augen trat und das sie nie vergaß.

Diese Sehnsucht ist heute Wirklichkeit, wie vor Iahrtausenden, ist
stets Ilnmittelbarkeit. Das ist Glaube, diese unfaßbare, noch unverwirklichte
Wirklichkeit nicht zu verleugnen, auch wo kein historischer Nachweis uns ge-
lingt und das Wagnis erleichtert. Das Tasten nach den historischen
Strohhalmen verlangt den Glaubensinhalt als Beruhigung. Die Hin-
wendung auf das Nnfaßbar-Uumittelbare erfährt die verborgene Wirklich-
keit, die aus den alten Bildern leuchtet, als stete Aufgabe. Es ist gleich-
gültig, ob der moderne Arbeiter irgendeine historische Tatsache „glaubt'H
glaubt er nur an den „ewigen Vater", der sich in allem aussprach, wie er
in dir sich aussprechen will; der dort als tatsächliches oder als „nur" geistiges
Geschehen das Geheimnis aussprach, um dessentwillen du sein Kind bist,
der du aus ihm lebst.

Eine Kirche muß den rechten Ausdruck für diese ewige Ilnmittelbarkeit
darbieten können und filterlos das Angeheure, dem die Historie andächtiger
Schmuck wurde, statt Verhüllung. Dann wird sie wieder dem magnetischen
Pole gleichen, der das Verwandte mit stiller Kraft überall auf sich
zieht. Dann werden Menschen es leichter haben, an den alten Bildern
der eigeneu tiefsten Bestimmung inne zu werden, von dem Unmittelbaren
regiert zu werden, das in den Bildern sich ausspricht, sie selbst umfängt
und in ihnen drängt.

Das Unmittelbare hat aber besondere Hindernisse an der sozialen
Struktur unserer Zeit, in der sich die Willensrichtung der Iahrhunderte
institutionell verdichtete mit all ihren Giften. Ohne durchgreifenden Umbau
dieser Konstruktion, die unsere Innerlichkeit stets neu iu falsche dunkle
Richtung drängt, wird die unmittelbare Innerlichkeit des Menschentums
nicht zu unverstümmelter Entfaltung kommen können. Der Quell des
Lebens rinnt aber, darum sind die entsprechenden Willensregungen bereits
am Werke.

Das führt auf das andere Geistgebiet, an dessen inhaltlicher Bestimmt-
heit jede Volkskirche sich zu messen haben wird. Davon ein nächstes Mal.

Karl Müller- Würdenhain

Ein Weg zur Freiheit für alle

Im Kunstwart ist über den Freigeld-Gedanken schon wiederholt gespro-
chen worden, über ihn, für ihn, gegen ihn. Wir selber nehmen zu ihm auch
heute keine Stellung, wir sind da zu wenig „kompetent". Aber wir halten
uns für verpflichtet, in unserm großen Leserkreise das Nachdenken über
diese Frage wachzuhalten, von welcher sehr gescheite Menschen den Weg
aus vielen großen Nöten ausgehen sehn. Deshalb geben wir dem früheren
Greifswalder Nniversitätsprofessor Polenske zur Sache das Wort. Er
schreibt uns:

daß auf eine törichte Zeit, in der man schreien
/ würde: „Soviel Staat wie möglich!" eine vernünftige Zeit folgen
v-werde, die mit einem Mindestmaß von Staatsgewalt aus-
kommen würde. Während ich nun seit acht Iahren das Geschrei nach jenem
tzöchstmaß von Staatsgewalt schaudernd erlebe, sehe ich doch von Tag zu Tag
den Abscheu vor dem „stinkenden Nngeheuer" sich mehren und verstärken.
Gibt es nun schon Leute, die wissen, wie es einzurichten wäre, mit eineni
Mindestmaß von Staatsgewalt auszukommen?
 
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