Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1921)
DOI Artikel:
Maartens, Maarten: Ein Liebeslied
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Die neue Katastrophe und die Stellung des Bürgertums zur Republik: Berliner Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0195

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stadt Fitching. Schien sie auch schläfrig, so war sie doch voller Somuier--
lust. Aus der Straße spielten ein paar Hunde; der schwere Duft der
Levkojen und Nosen vermischte sich mit der Feuchtigkeit der gesprengten
Straße; und um den grauen Kirchturm flatterten und paarten sich die
Tauben; ein Reiter kam vorüber, seine Stute wieherte laut zu den Wagen-
pferden hinüber; eine große tzitzewelle schlug schwer über die weiße tzäuser-
front hin,- ein MLdchen guckte aus einem Fenster oben; ein junger Ver-
käufer gegenüber warf ihr eine Kußhand zu, und sie gab sie zurück. Als
sie draußen, wo die letzten elenden tzäuser aufhörten, um eine Ecke bogen.
begegneten sie einem halben Dutzend tzeumachern, die heiß, ungekämmt
und ungegürtet, bei tzeuduft zu den Klängen einer kreischenden Zieh-
harmonika tanzten. Und das Land dehnte sich weit vor ihnen, schwer
vom lastenden Gewicht seiner goldenen und grünen Fruchtbarkeit, schläfrig
und schmerzvoll unter der Kraft seines mächtigen Herrn und Geliebten, im
Äberschwang von Sonnenschein und Süße, von Geburt und Mehrung des
Lebens.

Er stand auf im Wagen, beugte sich nach vorn und —

„Thomas," sagte er, „du kannst das Aufgebot für dich und Molly be°
stellen. Paß auf, du junger Narr! Was zum Teufel —

„Es ist schon wieder alles in Ordnung, gnädiger Herr", keuchte Thomas
und brachte die Pferde wieder in die Mitte der Landstraße. „Bitte, gnä-
diger tzerr, ich meinte es ehrlich mit Molly. Wir haben einander lieb,
in allen Ehren; und die Köchin, die sagt — —"

„Schon gut, darüber können wir später reden. tzeirate unterdes, sobald
du willst." Er sank zurück auf seinen Sitz. Einen Augenblick sahen sich
Mann und Frau schweigend an; ihre Augen waren voller Tränen. Dann
zog er sie sanft an sich und hinter dem ahnungslosen Rücken des Liebenden,
im Angesicht des Himmels und der Erde, der Bäume und der Vögel und
der Blumen, küßte er sie leis auf die Wange.

Und sie fuhren weiter ins waldige Gelände, aus dem silbernen Glast
auf einmal in goldenen Schatten. Sie fuhren weiter, und wechselnde
Bilder zogen an ihnen vorbei: dichte massige Laubwälder, lichtes Unter-
holz und leichtes Gezweig; Grün in allen Schattierungen spielte darüber
hin, und das gebrochene Licht glitzerte. Die stillen Tiefen des Waldes
waren voll vom Leben der verborgenen Sänger, die dem schwellenden Som-
mertag Lobgesänge zujubelten. Ilnd die Hufe der mutwilligen Pferde
spielten dahin über den samtenen Rasen.

Die neue KaLastrophe und die Stellung des Bürgertums

zur Nepublik

Berliner Brief

>2^ s ist gegangen, wie es immer geht, wenn bei uns sich ein schwacher
IVLichtschein zeigt. Wir schienen auf dem Wege zu einer neuen Mitte-
^^bildung und durften hoffen, in der oberschlesischen Frage mit der fest
versprochenen Hilfe Englands eine dem Abstimmungsergebnis entsprechende
Lösung zu erreichen, damit nationale Ehre, wirtschaftliche Möglichkeit und
politische Konsolidation zu wahren und zu erreichen. Da hat, wie ich schon
im letzten Korrekturzusatz beifügen konnte, die französische Faust das Licht
ausgelöscht. Um das zu verstehen, muß man sich des früheren Briefes
erinnern, wo ich auf Grund der Angaben eines der ersten früheren General-
 
Annotationen