Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1922)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Eros
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0327

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wir wissen, daß Iünglinge oft für reife Frauen schwärmen, wie Iung»
frauen zu älteren Männern neigen. Aber die Spannweite des Eros
erstreckt sich noch weiter. Ebenso häufig ist die Schwärmerei des jungen
Mädchens für die geistig überlegene ältere Frau; die Liebe des Knaben
und jungen Mannes zum fertigen Führer, in dem sich seine Ideale ,,ver»
körpern". Dies alles beweist, daß der Eros über die biologisch verständlichen
Verhältnisse, die der physiologischen Fortpflanzung zugrunde liegen, weit
hinausreicht und daß er noch tiefer im Geheimnis der Individuation über--
haupt wurzelt.

Wie aber steht es mit dem sexuellen Linschlag dieser Verhältnisse?
Es kann wiederum nicht geleugnet werden, daß sie oft genug (wenn auch
den Beteiligten nicht immer bewußt) in den betreffenden seelischen Er°
lebnissen mit anklingen. Allerdings eben als ein Seelisches und
seelisch Begründetes. Aber das ist nun charakteristisch, daß gerade
der Iugendliche durch die eigentümliche Entwicklungsstruktur seiner Seele
beides mindestens im Bewußtsein getrennt zu halten strebt. Es mag
eine latente Verbindung da sein, und sie wird da sein. Aber entweder wird
das Sexuelle überhaupt ängstlich, ja feindselig zurückgedrängt, oder, wo es
infolge persönlicher Anlage sehr stark ist, verteilen sich beide Regungen
doch auf durchaus verschiedene Gegenstände. Eine heilige Scheu hält

den Iugendlichen in der Regel davon zurück, beides in einer gleichge-

richteten Neigung zusammenfließen zu lassen. Dies gilt nicht nur für

die erotischen Verhältnisse zu Alteren, sondern bei unentstellt jugend-
licher Seelenart auch zwischen Gleichaltrigen.

Diese seelische Tatsache muß ihren verborgenen Sinn haben. Es kommt
darin zum Ausdruck, daß der Gehalt einer tief erotischen Seelenbeziehung
seine Lösung und Erlösung im sexuellen Akt nicht zu finden vermag.

Daher das Scheuen des edlen Rosses im Phädrus vor dem Geliebten.'Daher
die tief wurzelnde Seelenscham. Die körperliche Vereinigung, als ein
immer einzelner, vorübergehender, zeitlicher Akt, kann den Sinn einer
Seelengemeinschaft, die ewig, unendlich, göttlich ist, nicht ausschöpfen. Es
sind noch tiefere Weltzusammenhänge, die hier weben, als die rein phy-
sische Fortpflanzung. Irgendwo im Letzten, im Schoße der „Mütter", hängt
ja alles zusammen. Aber nur eine irrende und verwirrte Phantasie kann
glauben, dem geistigen Zeugungsdrang des Lebens in einer leiblichen
Zeugung oder einer Amarmung Genüge zu tun. Wie im Duft der Früh-
lingslüfte unsere ganze Natur bis in die letzte Ader erregt ist von dem
Geheimnis und der Seligkeit ringsum, so durchzucken auch diese
erotischen Beseligungen unser ganzes seelisch-leibliches Ich. Aber
wer wollte, indem er sich beseligt der Natur in jenem Frühlingszauber
an den Busen wirft, dabei nichts anderes fühlen, als einen leiblichen
Trieb? Nnd wer wollte, selbst wenn dieser Trieb ihn im Anblick des
menschlich Schönen, Hohen, Reinen mitdurchschauert, glauben, daß in
ihm das Ganze seinen Sinn und seine Lösung finde?

Vielleicht gibt es nur eine Form der Erotik, in der das leibliche Be-
sitzen mit zur Erfüllung der geistigen Sehnsucht beitragen kann. Wo
dies ist, da muß jedenfalls ein Wille der Natur sich sinnvoll vollenden:
sie muß im geistigen Zeugen dann zugleich neues leibliches Leben zeugen
wollen. Nnd dies ist nur, wo Mann und Weib aus dem höchsten Eros
heraus sich mit ganzer Seele und mit ganzem, ungeteiltem Sein verbinden.
Aber selbst dies geschieht nicht ohne jenen Schauer vor einem Abgrund,

26(
 
Annotationen