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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1921)
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Avenarius, Ferdinand: August Gaul
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0183

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tut, von ernem ganz in sich gerundeten Lebewesen. Dann jedoch, wenn ich
das Ange ösfnete, wie dieses Stück Kunst mir entgegen! Mitunter, als
seien die unbewußten Fragen dieses Tieres dieselben, die mich beim
Schreiben bewegten: wie mau's anfängt, Mensch zu werden. Wer
einen jungen Orang näher gekannt oder nur ein einziges Mal auf dem
Arme gehalten hat, versteht das sofort.

Aber wenn dieser Gaul „menschelt", so tut er das, weil ein Orang men-
schelt, aus des Künstlers Gaul Mache heraus menschelt er nicht. Wo ein
Gaulsches Geschöpf, wie dieser oder jener seiner Adler, heroisches, oder
wie sein Hamster, humoristisches Symbol sein soll, dort schon, dort verlangt
das die Aufgabe selbst. Bei der eigentlichen Tierdarstellung aber verlangt
das Tier nicht einen Menschen, der durch seiue, des Tieres Haut zum andern
Menschen mit sich felbst kokettiert, wie wir das aus Tausenden von Bildern
und Plastiken kennen. Auf dem Wege des Entdeckers und des Einfühlers
zum Tiere hin hat Gaul wohl gröstere Strecken durchmessen und größere
Schwierigkeiten besiegt, als irgendein andrer. Er hat den Tierleib darzu-
stellen vermocht wie keiner und die Tierseele, daß uns wahrhaftig mitunter
wird, als müßten so und so viele Tierseelen „verwunschen" in ihm gesteckt
haben, vou der zahmsten bis zur wildesten. Gaul gab dabei oft in über-
raschender Weise den Moment. Niemals aber gab er nur den Moment,
cr zeigte das Tier, wie es sich betätigt, aber in diesem Sichbetätigen
eines Tieres stets auch dieses bestimmte Tier, das ganze.

Auf Gauls Gefühl für das Plastische deutete ich schon. Man wird
jetzt in allen illustrierten Zeitungen Tierplastiken Gauls zu sehen bekom-
men; so begnüge ich mich, von ihm die Löwin und den jungen Bären und
deu Fischotter-Brunnen zu zeigen. Sie geben im Abbild auch vom
Plastischen immerhin noch einen Eindruck. Der Brunnen, damit man sich
wenigstens vor einem Beispiel auch der Feinheit erinnert, welche die
Gesamtgestaltung Gaulscher Brunnen aufweist. Angesichts der Bilder nur
noch so viel zu dem vom Seelischen Gesagten: wie wird der Lindruck der
Gemütlichkeit beim Bären (dem nach Hagenbeck gefährlichsten Raubtier
unsrer Menagerie) diskret, aber eindeutig durch Augen und Maul in
diesem Schädel korrigiert, und wie wird bei der Löwin die „Majestät'",
die groß vereinfachend herausgearbsitet ist, im Gesichte doch wieder, sagen
wir: ergänzt! Aber Gaul hatte nicht nur plastisches, er hatte überhaupt
das Gefühl für Form im höchsten Maße. Ich gebe statt. weiterer Abbil-
dungen plastischer Werke eine Anzahl seiner viel zu wenig bekannten
Li t h o g r ap h i e n in der Nachbildung mit, wie sie in den köstlichen
„Alten Fabeln mit Steinzeichnungen von August Gaul" bei Paul Eas-
sirer erschienen sind. Da ist alle plastische Form wie ausgelöscht, wäh-
rend ein schlechterer Künstler die Tiere gezeichnet hätte, als gälte es,
plastische Form zeichnend nachzubilden; wir haben dem ja früher tausend-
sach zusehen müssen. Als Zeichner sieht Gaul ganz anders. Die Bilder
mögen selber sprechen.

Gaul ist in unsrer an Kunst-Narrheiten so überreichen Zeit einer der
reinsten, besten und stärksten Gestalter gewesen. A.

* Ich hätte das kleine Stück den Lesern längst im Bilde gszeigt, wenn es
sich reproduzieren ließe. Es ist aber so sehr als Rundgebilde erschaut und ge-
staltet, daß es, in die Fläche gezwungen, gleichsam verstummen würde.
 
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