Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1921)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Welt-Anschauungen: Bemerkungen über das Künstlerische
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0172

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Von solchen Weltschauungen nun seien einige typische kurz berührt.
Ihre Namen sind oft geuannt worden; ihr Wesen wurde selteu darge--
stellt. Nnd doch erkennen wir uneudlich viel Menschliches erst dann vou
innen her, wenn wir die Welt-Anschauung begreifen, aus der es ward
und bedingt ist. Ich neune in diesem Zusammenhang nur die wissen--
schaftliche, die politisch-soziale, die künstlerische Weltanschauung, obwohl
es solcher Linstellungen mehr, sogar recht viele gibt. Was sie letzthin
unterscheidet, ist, wie gesagt, nicht ein verschiednes Willensziel, noch ein
unterschiedliches In-Begriffe-Fassen; drei Träger dieser Anschauungen
können gut und gern einer Partei angehören und sich zu ähnlichen Stil-
moden bekennen. Bis ins letzte hinein aber weichen die farbigen Reliefs,
die Panoramen voneinander ab, in denen sie die „Welt" „schauen". Andere
Dinge, Menschen, Interessen und Angelegenheiten stehen jedem der drei im
Vordergrunde des Bewußtseins, beherrschen ihre Aufmerksamkeit, fordern
ihre Teilnahme heraus, andere treten für jeden der drei zurück; andere
Stimmungen bilden für jeden der drei die lebendig-innere, vielleicht frucht-
bar-schöpferische Atmosphäre; andere Motive lenken ihren Willen, sei
es selbst zu ähnlichen Entscheidungen; andere Worte und Weisen scheinen
ihnen das „Eigentliche" der Welt zu sassen und zu halten, scheinen ihnen
zu befestigen, was in schwankender Erscheinung schwebt; anderer Rhyth-
mus kennzeichnet das innere und äußere Leben der drei.

Mit einiger Äbertreibung, die wie die Karikatur Wesenhaftes schärfer
herausheben soll, als das Leben es bietet, mit einiger Blick-Einengung
auf die reinen Typen, die freilich seltener sind als die Mischtypen, läßt
sich vielleicht über diese Welt-Anschauungen manches klarer sagen.

Ein Urstreben beherrscht und bestimmt, motiviert und leitet unser
geistiges Wesen. Wir sind hineingeboren in eine Fülle von Dingen,
Ereignissen, Beziehungen, sind allein inmitten eines Chaos, sind hilflos
auf den Wellen der Gewässer, und so ist uns aufgegeben, das Wagnis
des Daseins zu überstehen. Es mag sein, daß der geistig Angelegte diese
Aufgabe tiefer und mit mehr Bitternis empfindet als der Lebende;
aber rein entfaltet, gerade und ungebrochen emporgewachsen aus dem
Atemraum einer unverbogenen Iugend, empfindet sie jeder, der Men-
schenantlitz trägt. Geistig nun sucht der wissenschaftliche Mensch sie zu
lösen. indem er die Welt betrachtend in Begriffe und Gedankensysteme
fesselt und einbannt, der politisch-soziale Mensch, indem er an sie handelnd-
verändernd herantritt und dabei erfahrend ihrer Herr wird, der künstlerische
indem er erlebend und sich an sie hingebend sie abbildet. Die Entwicklung'
des wissenschaftlichen Menschen ist ein langsam fortschreitendes „Er-
ledigen" — nicht immer „Lösen" — von Problemen; denn vom Bau
eines Stiefels und der Technik Les Straszenreinigens bis zum Wandel
der Gestirne und zu den Wundern der Urzeugung, von dem Flammenbad
der Geschlechtsliebe bis zu den Schmerzen des Krebskranken ist ihm alles
„Problem"; er stellt und erledigt sie, legt in Iahren und Iahren Problem
um Problem beiseite, Band auf Band, überschrieben mit Formeln, die
in seinem Sinn die Welt umspannen und aus dem brennenden Mittel-
punkt seines suchenden Inneren hinausbannen, in letzter Instanz er°
füllt von der Hoffnung, einst die Formeln zum System zu einen, das
System selber in Formeln zu bringen und so endlich, endlich die Welt,
die nun übersehbar, durchschaubar, ableitbar geworden ist, in Abstand
die Stoffmassen, die er so bewältigen könnte, würden ihm plötzlich verge-

f32
 
Annotationen