Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI Artikel:
Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0037
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
logisch angesteckt. — Sie kam, mit Genüssen beladen, aus der Küche zurück
und fuhr unverzüglich in der Kritik ihres Herrn fort: er sei halt lau in
der Frömmigkeit und lasse den asketischen Sinn ganz vermissen. „Still!"
gebot der Herr Geistliche Rat. „Es ist Askese g'nug, daß i alleweil Euer
wüstes G'sicht anschaue und dös dumme G'schwätz vertrage muß." — „So,
jetzt mag i grad net", sagte Petronilla, rückte einen Stuhl herbei und
nahm sich mit fließender Beredsamkeit die Schwächen des geistlichen
Standes und die seiner anwesenden Vertreter im besondern vor.

Der Pfarrer, der ein Christ werden wollte
LV-ur insgeheim darf ich es wagen, ihn zu zeichnen. In seinem Wider-
-^»-willen gegen jede Selbstbegegnung hat er sich nie im Spiegel gesehen,
hat nie sich konterfeien lassen und strich jeds Namensunterschrift, wenn sie
schlechthin einmal nötig war, mit einem zornigen Fahrer wieder durch,
und dies sogar auf amtlichen Papieren. Wie müßte er mir grollen, wenn
er je dahinterkäme, daß ich ihn abgezeichnet, und wär es nur für das
Tagebuch in meinem Schubfach! Also spärlich nur und fadendünn sei
sein Bild hier angedeutet.

Sein Rock, seine Schuhe waren fast so alt wie er selbst, sein Schritk
bald elegisch schlendernd, bald ausiahrend hurtig, als wäre er dem Stein
der Weisen auf der Spur. Ia, dieser war's, dem der Nimmerruh zeit
seines Lebens nachgestellt. Ihm galt der weltdurchbohrende Blick, solang
er hoffend auf der Suche war, ihm das verzweifelte Lachen aus dem Munde,
der, in Verachtung und Enttäuschung breit und derb geworden, ein tüchtiges
Gebiß sehen ließ. Dazu stand es wohl, daß die Hand meist zur Faust
geballt und der borstig behaarte Schädel wie zum Angriff gesenkt war.
So schimpfte er auf die Götterkunde, sc. Theologie, so auf jede Obrigkeit
in Welt und Kirche, auf alles, was den freien Mann an Hirn und ander-
wärts beschneidet. Er tat dies auch, wenn er ganz allein im Hause war,
und also jeden Tag im Iahr. Denn er fertigte alles an der Türs ab und
schob dahinter mit einem saftigen Preis der Linsamkeit den großen Riegel
vor. Was es aber drin zu schaffen gab, das tat er selbst. Machte Feuer
an und kochte, wobei das gelbe Schnupftuch ihm wider Schmutz und Hitze
des lärmenden Geschirres half, wichste, wusch und scheuerte dem ganzen
Weibsgeschlecht zum Trotz, zitierte sich lateinische Bukolika oder rief bei
mißlingender Hantierung Gestalten seiner Götterkunde an. War das
Mahl nach dem Grundsatz „höchster Extrakt in feinster Zubereitung"
endlich auf den Tisch gefördert, es war der Küchentisch im Schmucke seiner
wachsleinenen Fragmente, so ging es hastig seinen natürlichen Weg.
Koch und Esser gaben alsdann auch die Spülmagd ab, die sich's nach
getanem Werk droben in der Studierstube zwischen tausend Bänden wohl
sein ließ. Da schaute von der Decke, auf ehrwürdigem Kodex hockend,
eine lebensgroß gemalte Eule, die der Spruch umgab: Necjitabilur ckis
ae nocre. Denn was hätte Philosophus nicht betrieben! Wer als Denker
je Bedeutendes zu Papier gebracht, fand sich mit seinesgleichen in eins
der rohen fichtenen Gestelle gestopft und hatte zu jeder Tag- und Nacht-
zeit des Fragers gewärtig zu sein, den die Rätsel Gottes in der Welt nicht
schlafen ließen. Zwischen zwei brennenden Kerzen lag die Bibel aufge-
schlagen als Fundament für alles andere, was jeweils obenauf zu liegen
kam: Kant, Thomas, Herder, Renan, Dante und die andern, die er des
Namens „Kerle" würdig fand. Auch Steinkunde trieb er, bis der faustische
Wissensüberdruß ihn wider alle tote Herrlichkeit empörte. „Was han i denn

23
 
Annotationen