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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI Artikel:
Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0036

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Sie musterte mich mit den klugen graueu Augeu und wischte ihre Hände
an der Schürze. „Mit wem hab ich die Ahre?" Ich glaubte zwei Men--
schen zu hören; denn ihre zersprungene Stimme klang mit seltsamem
Intervall im Doppelton. Ich gab mich nach Namen nnd Stand zn er-
kennen und sah das greise faltige Gesicht mit spitzem Kinn sich in Ver-
wunderung erheben. „Sie sind das?" Sie leckte den Mundwinkel und ließ
ihrem Erstaunen Zeit, ehe sie fortfuhr: „Ankennen tät man's Ihne net. So
weltlich . . . ganz weltlich! Aber wie halt die jnnge Herre jetzt so sind.
Es spuckt a neuer Geist in dene Köpf — ob's der rechte ist, ich weiß net.
Aber kommet Sie mit mir in Garte nunter, mei Herr tut Apfel brocke."
Wir gingen zwischen den vollgestopften Büchergestellen der beiden Seiten
den langen Gang hin, und als ich begierig nach den Titeln der Bände
den Schritt verlangsamte, stand sie still und sagte, den Finger richterlich
nach den Büchern ausgestreckt: „Daher kommt das ganze Abel. Das
viele Lesen macht die Menschen zu gescheit, zn gescheit aber, sag i immer,
ist gradsoviel wie dumm. Studiere allein bringt da Mensche anf Abweg.
I wenn der Papst wär, sag i immer zu meim Herre, i tät alle Biblio-
theke verbrenne lasse." Ich wandte ein, das sei für die Haushälterin
eines gelehrten Herrn eine wunderliche Schätzung des Wissens und der
Bücher. Sie stemmte die Arme in die Seiten und erwiderte aus der Tiefe
ihrer pastoralen Äberzeugung: „Ich weiß, was ich sage. Dreißig Iahr
schon helf ich meinem Herre seine Bücher mache und weiß, daß alles
Verlogene und Unglänbige in de Bücher steht. Glaubet Sie, der Luther
wär so tief g'falle, wenn er net soviel stndiert hätt? Ietzt hammer die
Bescherung seit fünfzehhundertsiebzeh, und 's wird immer minder, je
mehr ma druckt und liest. Der Mensch soll glaube und bete und weniger
studiere." Ich sagte, Luther habe geglaubt und gebetet wie nur einer —
ob sie das nicht wisse? „So," fuhr sie betroffen fort, „sind Sie auch einer
von dene, wo de Lnther in Schutz nehmet und am End sei Kätter au no?
Ha?" — Am Ende des Ganges erschien unter der aufgestoßenen Tür mein
gelehrter Freund mit dem vollgefüllten Äpfelkorb. „Ich empfange eben ein
Privatissimum über Luther", sagte ich, ihn begrüßend. „Gant in Euer
Küche," fuhr er seine Petronilla an, „prediget der Katz vom Lnther!" —
„Nei, Herr Geistlicher Rat, jetzt mag i grad net. Ihre Besuch sind auch die
meine. 's ganze Iahr schreib ich für Ihne, und ich versteh auch was von derer
Sach!" Der Geistliche Rat widersprach nicht länger und führte mich der
Stube zu. Während er draußen die Hände wusch, übernahm Petronilla
die weitere Anterhaltung und bat mich leise, auf ihren Herrn im Sinne
einer größeren Frömmigkeit einzuwirken. Ich bemerkte, daß ich als Mensch
von gleicher Neigung zur Gelehrsamkeit zu solchem Einfluß nicht berufen sei.
„Ach, die geistliche Herre," seufzte sie, „oh, ich wenn der heilig Vater wär...
Aber saget Sie, Herr, womit kann ich diene?" Die Frage klang so warm
und mütterlich, daß ich in meinem Durst und Aunger der Anti-Lutherin in
Bausch und Bogen gern verzieh. Meinen Wünschen dienstbar schwand
sie eilig hinaus in die Küche und räumte meinem Freund das Feld.
„Sonderbarer Empfang," bemerkte er, „nicht wahr?" — „Petronilla kommt
von Petrus", sagte ich. — Er ließ sich nieder und begann das Lob seiner
Walterin. Treu wie Gold, unermüdlich im Opfer für sein Wohl habe sie
Iahrzehnte bei ihm ausgehalten, und was sie in den schweren Zeiten
seines Augenleidens ihm als Schreiberin gewesen, sei mit Geld nicht auf-
zuwiegen. . . . Der beste Mensch, der lanterste Charakter, nur leider theo-

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