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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 8 (Maiheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Arbeit und Romantik
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Schumann, Wolfgang: Arthur Schnitzler: zu seinem sechzigsten Geburttag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0087

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Die Frage mag stehen bleiben. Antwort gibt jedem eigenes Anschauen.
Unsere Betrachtung begann mit dem deutschen Schrifttum; sie möge auch
damit enden. Am deutschen Arbeitfanatismus ist die tzoffnung auf eine
neue Romantik zerschellt. Der „Naturalismus" war der Versuch zu einer
Dichtung, welche unerhörte Arbeit-Energien anforderte, mehr als irgend
eine andre. Vermochte ein Dichter sie aufzuwenden, so entstand Starkes
und Geprägtes. Doch wenige Deutsche vermochten es. Der Arbeitfanatismus
scheint nicht eigentlich deutsche Dichter-Art. Die stärksten eigentlichen „Ar-
beiter" unter Deutschlands Schriftstellern, Thomas Mann vor allen, haben
zumeist fremdes Blut. Seither sieht man die Dichtung auf dem harten
Boden eines arbeitenden Volkes schmerzenreich ringen um — die Freiheit.
Auch der „Expressionismus", so leidenschaftlich sein Protest ist, so herb
sein Selbstgefühl, ist Ringen und Suchen nach einem Loskommen von der
Gebundenheit der Zeit. Und ist darum mit einem wesentlichen Zug
Romantik. Doch bleibt er, wie alles, was in dieser Zeit gruppenmäßig auf-
trat, halb. Muß halb bleiben. Denn nur der Einzelne überwindet die
Welt, durch Zwang oder Leiden, bis dahin, wo er Romantiker sein, wieder
Romantiker werden darf und die Freiheit hat. Ehe aber ein romantisches
Schrifttum vollen Gehalts und reifer Gestalt wiederkehren kann, wird Deutsch-
land als Ganzes sich darüber entscheiden müssen, ob es im Drang seiner
gewaltigen Arbeit nicht für Iahrzehnte Schaden nimmt an seiner Seele.

! , _ Sch.

ArLhur Schnitzler

Au seinem sechzigsten Geburttag

uf einem Boden, der viele Rassen getragen, in Kampf miteinander
1 vereint, in wechselnden Schicksalen gehalten und gehegt hat, auf einem
'^v'Boden von jahrhundertalter Weihe und Kraft — sehr besonderer,
schwer fühlbarer Weihe und höchst seltsam wirkender Kraft — ist Schnitzler
in der Zeit der Äberreife einer vielbewegten Epoche geboren und geworden.
Angehörig durch alle Iahre seines Lebens diesem Wiener Boden, dessen
grundtiefer Kenner er ist, angehörig einer Rasse zwischen den Rassen, bildet
er Wiener Welt ab, wie sie der organisch Wissende allein abbilden kann,
indes mit der Kunst und mit der Auswahl aus ihrem Bestande, die seine
persönlichen Merkmale sind. Müßig, ihm entgegenzuhalten, daß er nicht
„Wien schlechthin" abbildete — Wien ist eine Welt, eine jener symbolischen
Stätten, die alles Menschliche, Sachliche, Organische repräsentieren, was
die Welt schlechthin ausmacht; Wien ist Westen und Osten, ist Norden
und Süden, ist Geschichte und Gegenwart, ist Stadt und Land, ist
Kunstprodukt und Naturwesen, ist Willenszentrum und Erleidenszentrum,
ist Seele und Seelenlosigkeit, ist modern und alt, ist fluchwürdigster Tau-
mel und edelste Besonnenheit, ist alles dies und tausendmal mehr in
einer einzigen, einmaligen Prägung. So wenig wie die Welt selbst wird
ein Dichter je Wien erschöpfen. Müßiger noch, Schnitzler entgegenzu-
halten, daß seine Kunst dünn und blaß und ohne singend-klingende Fülle
ist. Es ist wahr, daß seine Werke nicht von Stifter, Bartsch oder Adolph
sind. Doch gegenüber solcher unfruchtbarer Kritik hat er das Recht zu
fordern, daß man zweierlei prüfe: ob sie reine Abbilder seiner Welt und
ob sie ehrliche Zeugnisse eines tiefen Strebens sind. Die Abbilder sind
rein, die Zeugnisse ehrlich — wer das nicht fühlt, gehe streitlos an dem
Manne vorüber, dem wir andern verpflichtet und dankbar sind, ohne ihm
blinden Auges Weihrauch zu verbrennen.

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