Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Das Weltgebot: Ostergedanken 1922
DOI Artikel:
Müller-Würdenhain, Karl ...: Die Sehnsucht nach der Volkskirche, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0017

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erdenordnung für „nicht realpolitisch" halten, auch wenn sie morgens,
mittags und abends ihre Kinder zu „Gott dem Allmächtigen" beten lassen.
Konsequenz, ihr Herren! Und Klarheit darüber: gerade der niederträchtige
Suggerierkrieg der Entente mit seinen Riesenerfolgen beweist, daß noch
heutigentags die sittlichen Ideen die allergrößte Macht haben.
Freilich, man muß in dieser mangelhasten Welt auch sie mobilisieren, und
wir Deutschen hatten sie nicht mobilisiert.

Befreit die Völker davon, daß sie diese ihre Hauptkräfte von der kleinen
Minderheit ihrer Regierenden mit Suggerierkünsten vor ihre, der Re--
gierenden Profit-- und Machtinteressen anschirren lassen! Nur eine
sittliche Politik ist auch eine weise, nur eine sittliche ist auch eins
förderliche Politik. Daß die Menschheit das endlich erkenne, das ist
nicht der Traumwunsch einer österlichen Phantasie, sondern es ist das Welt--
gebot an die Menschheit. Sie muß verkommen, wenn sie ihm
nicht gehorcht. Befreit die Völker von dem Wahn, die wichtigsten
Interessen seien die der Macht und des Geldes, die den Regierenden jetzt
als die politischen Interessen schlechthin erscheinen. Verbündet euch mit
den Ehrlichen und Klaren in allen Kirchen, in allen Kreisen echter Kultur
für diesen Kampf! Und ihr bereitet eine Revolution von höchstem Segen
vor, gegen die jeder frühere Nmsturz unbeträchtlich war.

Kann etwa diese Revolution von uns Deutschen ausgehen? Soldaten und
Kanonen braucht es nicht dazu. A

Die Sehnsucht nach der Volkskirche

3. Die Kirche und die Seinsformen

^^-^isher ist nur von den rationalen Schwierigkeiten und Hindernissen
^»^Hgehandelt, die der Gedanke einer Volkskirche findet; jene Dinge lageu
verhältnismäßig an der Oberfläche des Geschehens. Es gilt noch,
an die tiefe Problematik zu rühren; diese Berührung ist immer schmerz-
haft, doch förderlich. Da tun sich dem Auge die irrationalen Widerstände
auf, die jeder Gedanke und jede Willensform in sich selber hat.

Sind doch Recht und Nnrecht in ewigem Miteinander unlöslich ver-
klammert. Iede Willensgestalt enthüllt sich als liebende Ilmschlingung,
in der Wahrheit und Irrtum, Kraft und Ilnkraft, Werden und Vergehen
einander umfangen halten. Darum stirbt kein Gedanke aus, der je ge-
dacht wurde: er lebt ewig von der einen zarten Wurzel, die ihm Sast aus
dem fruchtbaren Erdreich der Wahrheit zuführt. Ilnd kein Gedanke wie-
derum ist die vollendete Lntfaltung der ganzen Wirklichkeit, die er meint,
keiner entsproßt unverkümmert seinem mütterlichen Boden. Erst die Aus-
einandersetzung und Einswerdung mit diesem Schicksal wird auch das
Ningen um eine Volkskirche als um das Gefäß der Geistigkeit an die
tiefsten und lebendigsten Einsichten führen.

Daß die Kirchen trotz ihrer offensichtlichen Anzulänglichkeiten und lln-
zweckmäßigkeiten, trotz ihrer Ilnfähigkeit zur Lösung ihrer Ausgabe und
trotz der dementsprechenden Entfremdung der weitesten und wichtigsten
Schichten, doch noch nicht zusammenbrachen, entseelt und entleert, liegt
ja nicht nur an der allgemeinen Zähigkeit kirchlicher Formen, auch nicht
bloß an der Zersplitterung der außerkirchlichen Kräfte; diese Gründe sind
sekundär; der primäre Grund ist, paradox zu sagen, die religiöse
Aberlegenheit der kirchlichen W i ll ens gestalt an einem entschei-

3
 
Annotationen