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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Die neue Kunst und die Kirche, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0223

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Die neue Kunst und die Kirche

Kirche, die Kunst: darf man solch allgemeine, umsassende Begriffe
/anwenden? Man durfte es vielleicht einmal, als eins ohne das
andere schwer zu denken war. Wohl gab es immer eine „weltliche"
Kunst, Außerung des Nachahmungs- oder des Spieltriebs, gleichviel, aber
es gab Zeiten, in denen die „hohe" Kunst nur als Dienerin der Kirche
denkbar war, während das heute nicht mehr der Fall ist. Damals waren
die Künste nicht Zierat, sondern Gebet, nicht Ausfüllung des Raumes,
der Zeit mit Formen, Vorgängen und rhythmischen Geräuschen, sondern
Ersüllung. Sie traten meist nicht getrennt auf, weil keine alles gibt,
alles aber, die Summe unseres Ausdruckswillens drängt nach tzingabe an
die Gottheit, deren Erlebnis sichtbar, hörbar, fühlbar gemacht werden soll.

Die Religion, vielleicht ein Produkt der Raumangst, vielleicht eines der
leiblichen Not oder aber der Einsamkeit erster mit Bewußtsein begabter
Lebewesen, ist gleichermaßen Sache des einzelnen, wie der Gemeinschaft.
Bald überwiegt diese, bald jener, bei den Griechen und im frühen Mittel-
alter erwuchs sie in der Gemeinschaft, heute erfüllt sie den einzelnen. Wohl
ist unsere Lebensordnung seltsam einförmig und eintönig, von den Möbeln
bis zur „typischen" Denkweise der Volksklasse oder der Berufe, aber in
den gemeinsamen Formen steht dennoch der einzelne irgendwie allein,
wie die Lockernng aller größern Verbände nicht rein wirtschaftlicher und
politischer Art zeigt. Wir dürfen also von vornherein keine volks- oder
gar völkerumspannenden Einrichiungen kultureller Art in einer Zeit der
Zersplitterung erwarten, deren Individualismus in der Hauptsache nicht
starke Persönlichkeit, sondern Mangel an Bindungen und gemeinsamen
Inhalten ist.

Die Erörterung religiöser Dinge blieb im Mittelalter den theologisch
gebildeten Priestern vorbehalten. Das Volk „glanbte". Zu Luthers Zeit
war die kritische Fähigkeit der Massen, teils durch den steten Anblick
kirchlicher Mißstände, teils durch die Verselbständigung der Stände soweit
gestiegen, daß dem Individuum mehr Raum in der Kirche gegönnt werden
mußte, als früher, es wurde nicht mehr einfach „aufgehoben" in einer
Gemeinschaft, sondern es kam zu Gott mit Fragen und Forderungen. Kein
Wunder, daß es nicht bei der einen Kirchenspaltung blieb, daß Sekten-
bildung vielmehr rasch überhand nahm. Immer kleiner wurden die Kreise,
die sich auf eine gemeinsame kultische Form einigen konnten.

Die Kunst hatte eine ganz ähnliche Entwicklung durchzumachen. Rein
gegenständlich schritt sie vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Lin-
malig-Göttlichen zum Vielmalig-Menschlichen vor, künstlerisches und reli-
giöses Leben erschloß sich in immer neuen Ausprägungen den vielen.
Aus diesen Voraussetzungen heraus ist die heutige Kirche und die heutige
Kunst zü verstehen. Beide treten in einer Vielzahl von Formen, mit
zahlreichen Tendenzen in Erscheinung und sind Spiegel kleiner und kleinster
Gruppen. „Landeskirche" ist heute ein Begriff, allenfalls eine Institution,
keinesfalls aber die „Gemeinschaft der Heiligen" als der vollzähligen Mit-
glieder der „Glaubensgemeinschaft", an die die meisten nur durch den
Kirchensteuerzettel erinnert werden.

Wir sprechen hier von Kunst, die Frage nach der Brauchbarkeit und
Notwendigkeit einer oder mehrerer Kirchen scheidet aus, wir wollen nur
wisseu: ist Kunst überhaupt möglich im Bezirk dessen, was heute noch Kirche
 
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