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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 9 (Juniheft 1922)
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Birt, Theodor: Die Götter Homers
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Troeltsch, Ernst: Die neue Weltlage: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0182

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Marathon; Poseidon hat in der Schlacht bei Salamis die Perserflotte nicht
zertrümmert. Die Götterwelt ist jetzt höher gerückt, in den hohen Abgrund
des Athers. Der Mensch ist nicht mehr so intim mit ihnen.

Nur im Apoll von Belvedere sehen wir noch einmal den Versuch gemacht,
den streitbaren homerischen Gott großartig im Afsekt zu zeigen. Aber
dieser Apoll ist ein Blender. Das Wonnevolle seiner Erscheinung schlägt
alle Schrecken, die er erregen will, nieder. Eine Erotik stellt sich ein; der
Betrachter verliebt sich in das Bild, statt zu ihm zu beten. Was hätte
Homer zu diesem Apoll gesagt? Schön genug bist du; aber, bitte, etwas
mehr Muskulatnr verlang ich, und löse dir den künstlichen Haarknoten auf,
den du dir vor dem Spiegel allzu gefallsüchtig zurecht gemacht hast. Frei
muß die Mähne hängen, damit du wild und furchtbar bist.

So kam es in der Tat dahin, daß es in allen diesen Tempelfiguren nicht
mehr der Gott war, der Andacht weckte, sondern die berückende Leibes--"
schönheit des verklärten Menschen. Die Asthetik verdrängte unmerklich
die Frömmigkeit, der Kunstwert die Heiligkeit der Gebilde. And so
darf man sagen: die statuarische Versinnlichung der Götter ist
einer der wesentlichsten Anlässe ihrer langsamen Entwertung gewesen,
die in der Zeit des alternden Griechentums tatsächlich eintrat. Nur
etwa zwei Iahrhunderte währte die klassisch großartige Götterbildnerei (von
500—300 v. Chr.). In ihr und durch sie hat sich die Religion Homers
langsam versteinert. In denselben Iahrhunderten aber erstarkte auch die
griechische Philosophie, und andere religiöse Kräfte wurden wach, die das
Weltall wie ein Buch weit auseinanderschlugen, um in ihm nach einem
neuen Gott, nach einem neuen Weltplan zu suchen.

Homer sank herab zum Fabelbuch, dessen Göttermythen man künstlich um--
deutete und retuschierte, um sie zu retten, und nur Homers Ethik blieb
unangetastet erziehend für Iahrhunderte, ja, für das ganze Iahrtausend,
in dem die Antike geblüht hat. Die Ethik; denn nicht nur die Götter, auch
der Mensch lebt sich in Ilias und Odyssee voll und reich vor uns aus. Die
Frömmigkeit, von der ich gehandelt, ist da nur der Tiefton und Grundton in
seinem Wesen; im Menschen sind der Klänge noch mehr, und tzomer läßt
sie alle ertönen und spielt seine Orgel mit vollem Register. Es dürfte
lohnend sein, ihm auch noch weiter zuzuhören.

Die neue WelLlage

Berlinee Brief

lle Welt spricht von Genua. Seit Wochen sind die Zeitnngen voll
8 und übervoll davon. Die Redakteure der großen Zeitungen sitzen
^*^dort in Person und schicken ihre Berichte, die zumeist wenig Tat--
sachen, sondern viel Stimmungsberichte und Zukunftsprophezeiungen ent-
halten oder auch die entsprechenden Gedanken und Erwartungen anderer
großer Zeitungen und Redakteure hierher telegraphieren. Die Kenntnis
der eigentlichen und wirklichen Tatsachen ist gering, und, da die wichtigsten
Dinge in Sonderbesprechungen der Alliierten unter sich oder in Sonder-
verhandlungen der verschiedenen Mächte ausgemacht werden, ist auch das
Wissen der amtlichen Personen beschränkt. Dazu kommen die Verhand-
lungen der beteiligten Mächte mit ihren heimischen Regierungen und deren
Äbhängigkeiten von der heimischen inneren Politik, alles Dinge, von denen
man wiederum nichts Genaues weiß und nur die Stimmungsberichte der
 
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