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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Das Ei des Kolumbus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0347

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Das Ei des Kolumbus

^m^as Ei des Kolumbus muß immer wieder neu hingestellt werden. So--
>-H^gar die einfachen Einsälle dieser Art — ein Ei etwas hart auf den
Tisch zu schlagen — vergißt die Menschheit immer wieder. Darum
möge es entschuldigt werden, wenn ich von meinem Freunde erzahle, der
mir in den letzten Iahren die symbolische kleine Tat des grojzen Entdeckers
öfters in Erinnerung brachte. Melleicht hilft er Andern auch so viel wie mir.

Ich lernte ihn auf der Eisenbahn kennen. Ein lebhaftes Gespräch war
im Gange.

Sie fragen, worüber? Dann leben Sie wohl nicht unter Menschen?Selbst°
verständlrch über die Preise der Zigarren, der Kleider, der Hotels, der war-
men Würstchen und des Biers! Wovon sollte man denn sonst reden? Nich!
so dachte mein Freund. Er schwieg, während alle sich ereiferten. Als wir
bei Tisch zusammen faßen, frug ich ihn, warum er so hartnäckig seine Erfah-
rungen auf dem Gebiete der Preisbildung verschwiegen habe. Lr erwiderte,
dieses Gebiet interessiere ihn nicht. Ich sah erstaunt an ihm herunter, denn
er trug sich nicht wie ein Krösus. Da winkte er ab: nein, reich sei er nicht.
Nun drang ich etwas in ihn. Und er teilte mir mit, daß er bei Beginn der
Teuerung eines Tages stundenlang und intensiv darüber nachgedacht habe,
wie er sich einschränken könne. Dabei habe er dreiundzwanzig Möglichkeiten
des Sparens herausgefunden und sofort den Generalbeschluß gefaßt, sie
sämtlich und augenblicklich ins Werk Zu setzen. Das sei vor zwei Iahren
gewesen; zuerst habe er einen Äberfluß an Geld gehabt, da er so viele ge-
wohnte Ausgaben vermieden habe; dann sei er allmählich ,,auf gleich ge-
kommen", Einnahmen und Ausgaben deckten sich nun. Sobald aber der
Mangel eintrete, werde er wieder einen Tag nachdenken und sich wieder
auf zwei Iahre im voraus einschränken. Nicht länger als einen Tag, der
freilich unangenehm sein werde — aber dafür hoffe er dann ein Iahr wieder
frei zu werden.

And sind Ihnen die Einschränkungen nicht schwer gefallen? frug ich.
Nicht allzu sehr, erwiderte er, — man kann ja manches entbehren. Vollends,
wenn es nicht anders geht. Nnd vor allem, bedenken Sie den Gewinnl
in zwei Iahren habe ich nicht einen Tag über die Preissteigerungen nach-
denken müssen. Ich hatte meine Freiheit gerettet!

Ich forfchte weiter, ob er nicht doch einen oder einige seiner damaligen
Entschlüsse bereut und vielleicht geändert habe?

Nein! sagte er ernst. Das wäre die größte Torheit. Denn damit finge
das nutzlose Nachdenken über diesen elenden Kleinkram wieder an, dem man

Septemberheft 1922 (XXXV, 12)

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