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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 12 (Septemberheft 1922)
DOI article:
Fischer, Aloys: Die Deutsche Gewerbeschau zu München, [2]
DOI article:
Liebscher, Artur: Vom modernen Lied
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0361

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Vertreter anderen deutschen Stammestums vorgeführt merden) in selten
allgemeiner Verbreitung, aber die Entwurzelung unserer QualitLtspro-
duktion aus dem Mutterboden einer volkstümlichen Handwerkstradition
ist auch bei uns vollendet, und alles Zurückgehen auf bäuerliche Motive,
bewußtes Anknüpfen an Formen einer als solchen abgestorbenen Kultur ist
Künstelei, nicht Kunst. Das schaffende Leben geht — merkwürdig uner-
schüttert durch den Krieg bei uns wie bei allen anderen Weltvölkern
des Abendlands — vorwärts in der Richtung der Vollendung des Ratio-
nalismus in Wissenschaft und Technik und damit auch zu einer Kunst,
wie sie sich auf dem Boden solcher geistiger MLchte allein noch ent-
falten kann. Soweit Keime solchen Schaffens in der Gewerbeschau spür-
bar sind, weist sie über die unmittelbare Gegenwart hinaus und ist nicht
nur als saktische Leistung, sondern als Versprechen bedeutsam.

Alois Fischer

Vom modernen Lied

ibt es überhaupt ein modernes Lied, so wie es ein klassisches oder
I V^ein romantisches Lied gibt? Die Frage scheint überflüssig, denn
-^auf zahllosen Notenheften steht es ja ausdrücklich und deutlich zu
lesen: Lieder von sL. P., und ein Blick auf das Satzbild genügt zu der
Erkenntnis, daß es sich um Werke der Moderne handelt. Aber schon
Brahms ist mehrfach ernstlich mit sich zu Rate gegangen, wenn er den
Titel für eine Sammlung von ihm vertonter Gedichte entwarf, und oft
genug hat er sich dann entschieden, „Gesänge" oder „Gesänge und Lieder"
auf die Außenseite der Hefte zu setzen. Sein Formgefühl sträubte sich,
etwas als Lied zu bezeichnen, was ein wesentliches Merkmal des Liedes
aufgegeben hatte. Denn nicht alles, was von einer Stimme am Klavier
gesungen wird, ist musikalisch ein Lied. Es gehört dazu eine Form, die den
strophischen Bau des Gedichtes auch durch die Musik hindurchschimmern
läßt und die der Gesangsstimme ihre Rolle als Hauptträgerin des musi-
kalischen Erlebnisses läßt. Daß seit Schubert der Anteil des Klaviers
an der Ausdeutung der seelischen Vorgänge endgültig feststeht, ändert
davan ebensowenig etwas wie die Tatsache, daß seit Hugo Wols
die Liedmelodie die Erinnerung an eine von rein musikalischen
Grundsätzen bestimmte Architektonik aufgegeben hat und ihre Linie von
der Sprache vorgezeichnet findet. Wohl haben Strauß, Reger, Pfitzner
und Hundert andere Tonsetzer auch in neuester Zeit noch Lieder im eigent-
lichen Sinne der Form geschrieben. Doch was für den Konzertsaal be°
stimmt ist, verliert zumeist ein anderes Merkmal, das gleichfalls das Wesen
des Liedes mit ausmachte: das Intime. Denn der konzertierende Eharakter
der Musik liegt dem Liede fern. Das soll natürlich nicht heißen, im
Konzertsaale dürften Lieder überhaupt nicht gesungen werden. Aber sie
wollen für sich, um ihrer selbst willen gesungen sein, mehr eigentlich in sich
hinein als aus sich heraus. Wie die Sonate vom Konzert, so ist das
Lied von der Arie, von der Gesangsszene und vom Gesangsstück geschieden.
Es rechnet nicht, wie diese, mit Zuhörern, richtet sich nicht an solche, denkt
nicht an Wirkungen, sondern begnügt sich mit dem einfachen seelischen
Bekenntnis. Als im 19. Iahrhundert die Kunstpslege zur öffentlichen
Angelegenheit wurde, paßte sich auch das Lied mehr und mehr den neuen
Verhältnissen an. Die Tonsetzer rechneten jetzt von vornherein nicht mehr
mit der Wiedergabe der Lieder im Hause, sondern stellten sich auf den

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