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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1922)
DOI Artikel:
Bernhart, Joseph: Zur Frage der Religion: noch einmal das Unerschöpfliche
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Schumann, Wolfgang: Walther Rathenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0298

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Vielleicht muß uns alles, um recht, lauter, unerschöpslich zu seiu, zum
Zeichen uud Gleichnis werden. Das kann keiner sich geben, so ist es wohl
Gnade. Nicht jeder empfängt sie, aber keinem ist der Weg zu ihr ver--
wehrt — das Gebet. Ioseph Bernhart

WalLher Nathenau

nberührbar von Ruchlosigkeit, raschem Nrteil unnahbarer als je,

löst sich nun aus dem Kampf der Interessen, der Parteien und zeit--
^^lichen Meinungen das Bild eines Mannes, der im weitesten Betracht
einzig war. Die Weltgeschichte kennt Philosophen, Religionstifter, Pro-
pheten, Künstler, Staatsmänner, Wissenschafter, vor deren Werk wir nach
hundert und tausend Iahren noch ehrfürchtig stehen. Walther Rathenau
war Philosoph, Religiöser, Prophet, Künstler, Staatsmann, Wissenschafter^
keines ganz, keines allein; keine Mischung, in der entgegengesetzte Be-
gabungen unbefruchtet nebeneinander wirken; ein vollkommener, einiger
Mensch, doch mit der doppelten und in zündender innerer Fruchtbarkeit
sich vervielsachendeu Kraft, menschliches Leben schauend, sichtend, klärend
zu betrachten und abzubilden und willenstark, weitblickend, höchstem Zweck
gemäß zu gestalteu. Was immer er darstellte, philosophisch, religiös--pro-
phetisch, künstlerisch, wissenschaftlich, es mochte sein eigenstes Eigentum sein
oder Synthese aus dauerndem Werk Anderer, seine besondere Prägung
erhielt es aus der Kraft eines Mannes, der in der Welt wirkte. Eine
eirizigartige Lebensnähe, eine vollkommene Vertrautheit mit dem nüch-
ternen Räderwerk menschlichen Treibens sondert sein Schaffen von dem
seiner Vorgänger. Er war der erste große Organisator der Erde, der
aus der breiten Erfahrung des Organisators heraus den Kosmos ab-
bildend neu erschuf. Uud daß er trotzdem das Weseu der Welt weder
vernüchterte noch rechnerisch zergliederte, weder trostsuchend idealisierte,
noch Prinzipien zuliebe vergewaltigte, daß er es rein und still spiegelte,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit gleicher Liebe und bildnerischer
Gewalt, das bestimmt seinen einzigartigen Stil.

Unauflöslich gehörte Rathenau unserer Zeit, deren „Kritik" er schrieb,
deren tzerkunft, Wesen, Sehnen und Zukunft er erkannte, die er mitgestaltet
und mitdurchlitten, zuletzt aber überwunden hat. Zu keiner Zeit war die
Menschheit so unentrinnbar hineingezwungen, so mit Kopf und tzerz ein-
gespannt in das Getriebe mechanischer Arbeit; nie hat vorher das Werk
der Lrnährung, Behausung, Bekleidung, Erwärmung, Bildung, Vergnü-
gung der Millionen so maßlos die Kraft Aller und alle Kraft des Ein-
zelnen gefordert,- nie war die Abkehr, die Äberwindung des Zweckstrebens
dem Menschen so schwer, nie stand Sehnen und Seele unter so unerträglichem
Druck wie in diesen Menschenaltern. Wer ihr den Weg zeigen wollte,
mußte aus vollgültiger Erfahrung im Mechanischen, aus restloser Vertraut-
heit mit den erdgestaltenden Kräften reden, mußte die Hölle alles Zeit-
lichen und ihre seelenlose Regelhaftigkeit abgeschritten, im Feuer des In-
teressenkampfes Befehle empfangen und über Stoffe und Kräfte geboten
haben — denn welchem Wort hätte diese Zeit noch gelauscht, nachdem
alles in endgültigen Zweifel geraten war, wenn es nicht den Stempel
auch der Geltung und Bewährung im Irdisch-Praktischen getragen HLtte?
Welchem hat sie gelauscht? — Konnte noch einmal eine Stimme über
den Schall der gelehrten Auseinaudersetzungen, den Klang geistvoller Ab-

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