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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1922)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Die neue Kunst und die Kirche, [2]
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Gefährlichste Zeiten: Berliner Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0331

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für große RLume. Er steigerte den Ausdruck der Bewegung durch viel-
fache Wiederholung, Multiplikation gleichlaufender Linien, etwa im Aus-
zug der Ienaer Studeuten, einem Versuch zur lebendigeu Eurhythmie. Ein
Bild wie seine „Einmütigen" enthält alles, was in den byzantinischen
Reihenbildern groß war. Eduard Munch, Emil Nolde fügen dem
neuen Formprinzip die gotische Erlebnistiefe bei. Schmidt-Rottluff nähert
sich der früher erwähnten Synthese: grotze, klare Form und höchste Inten-
sität der Inhaltsgestaltung. Nolde und Rottluff bringen überdies eine
Zauberglut der Farbe, die im Dämmerdunkel der Kirchen Metaphysik wer-
den müßte. Ich will nicht sagen, daß einer von ihnen jemals eine Kirche
ausmalen wird, aber sie schufen Ausdrucksmöglichkeiten, deren Abernahme
Ler kirchlichen Kunst Gewinn brächte. Der Abergang muß langsam ge-
schehen. Ls ist viel Zeit nötig, um den Sinn von der „geringen Natur-
treue" der figürlichen Widergabe hinüberzulenken zur reinen Ausdrucks-
kraft der Geste und schließlich zur Metaphysik von Form und Farbe, zur
absoluten Kunst. Malerei, Bildnerei tragen ihren tiefsten Erlebniswert,
genau wie Architektur und Musik, jenseits alles Gegenständlichen. Sagt
ein Bild zu uns: Leben, Tod, Himmel, tzölle, Liebe, Demut, Trauer, Sehn-
sucht, Verzweiflung, Erlösung, Werden, Vergehen, so brauchen wir gar
nicht weiter zu wissen, wer da lebt, stirbt, liebt, trauert oder erlöst
wird. Eine Farbe kann Leben, eine andere Tod heißen, ein Farbenchaos
Verzweiflung, eine Linienmelodie Demut, eine andere Sehnsucht. Auch
iu der Plastik. Die vollendetste Kirche wird nicht auf viele, sondern auf
ganz wenige, konsonnierende Klänge dieser Art gestimmt sein und die Art
des Lichtes und seiner Führung, die Raumgestaltung, die Gesamtdimension
des Gebäudes wird in engster Äbereinstimmung damit gegeben sein. Damit
kommen wir zum Zentralproblem, zu dem alle übrigen nur als Teilprobleme
in Beziehung stehen: zur Gesamtanlage der Kirche, in die sich alle
Einzelheiten -erst einfügen, aus der sie herauswachsen müssen. Wir be-
gannen mit den Einzelheiten, um damit das falsche Vorgehen der seitherigen
Kunstgestaltung zu zeigen und auf halbem Wege einsehen zu lernen, daß
man nur mit dem Ganzen beginnen kann.

(Schluß folgt) E. K. Fischer

Gefährlichste Zeiten

Berliner Brief

^^ie amerikanische Anleihe ist abgelehnt, d. h. durch die Franzosen
^^^unmöglich gemacht, die die Bedingungen nicht annehmen wollten,
welche die — wohlgemerkt, von unseren Feinden selbst ausgewählten —
Bankiers als für das Zustandekommen und die Durchführbarkeit unent-
behrlich bezeichnet Hatten. Neulich besuchten mich zwei Reporter einer
christlichen amerikanischen Zeitschrift und legten mir ganz kühl die Frage
vor, ob ich nicht glaubte, daß die Folge dieser Ablehnung ein Millionen-
sterben in Deutschland sein werde ähnlich wie in Rußland. Man beruhige
sich in Amerika über diesen für Luropa bald normalen Zustand mit dem
Gedanken, daß die Dsutschen durch ihre Kriegsschuld sich dieses Nnglück
selbst zugezogen hätten. Die Mark fiel auch sofort.

Dann kam das Furchtbarste, die Ermordung Rathenaus, offenbar als
Teilstück eines größeren geplanten Rechtsputsches und als Werk der großen
und reich mit Geld unterstützten Organisationen, die mit Gewalt gegen

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