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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 8 (Maiheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Arthur Schnitzler: zu seinem sechzigsten Geburttag
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Bekker, Paul: Die zwei Wege der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0091

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Ssele." Nur die weiseste Klugheit vermag dieses. Und die Schnitzlers
ist so weise, datz sie ihre eigenste Gefahr kennt und überwinden kann, die
Gefahr: durch formuliertes „Urteil" Seelisches scheinbar zu erledigen, wie
es die Literaten tun. Schnitzler weiß, daß es kein Erledigen gibt, nur
Abbilden und Abfühlen. Und weiß mehr. Daß das Leben reicher und
voller ist als zugespitzte, gewaltsam kataklysmische Tragödien; daß es
immer Seitenwege, Auswege, Rmwege, Milderungen, Mäßigungen, Auf--
schub und Hoffnung bereit hält, an denen nur die geblendete Leidenschaft
vorüberstürzt. Geblendete Leidenschaft aber ist in seiner Welt selten, und
in seinem Abbild umzieht darum die Schicksale ein mild-kluges Erwägen.
Seine Werke sind voll von Tragik, nie Tragödien. Viel ist über sie ge--
lächelt, viel gelacht worden. Viel zu viel. Zuweilen, als ob man die
Sprache seiner Welt nicht verstünde. Als ob man sie nicht ernst nehmen
könnte, weil sie selbst (und mit ihr Schnitzler) sich überlegen ist und be-
lächelt. In diesem Lächeln haucht Schmerz seinen wehen Atem aus, Welt-
schmerz seiner Welt. So lebensvoll „zittert es vom Grunde seiner »Tragi-
komödie« herauf — und sein Lebenswerk ist Tragikomödie! —, daß sie
fast gar kein Lächeln, doch tiefe Erregung herauspreßt — Furcht und Mit-
leid oder Furcht und Mitschau ins Nnergründliche". Wer diese Mitschau
erlebte, vergißt ihrer niemals. Wolfgang Schumann

Die zwei Wege der Musik

Der folgende Aufsatz ist einer größeren Arbeit P. Bekkers über die
deutsche Musik der Gegenwart entnommen, welcher demnächst erscheinen
wird in einem Sammelband „Deutsches Leben der Gegenwart" (heraus-
gegeben von Ph. Witkop. Wegweiser-Verlag jWerband der Bücherfreunde^
-Berlin). Wir freuen uns, unsere Leser einmal mit Bekkers Gedankenwelt
unmittelbar bekannt machen zu können, nachdem wir früher mehrfach über
seine älteren Schriften berichtet haben. Bekker nimmt unter den musikalischen
„Tagesschriftstellern" eine ganz besondere Stellung ein durch das tiefernste
Bemühen, dem geschichtlichen, soziologischen und ästhetischen Wesen der
Musik in großzügigeren Antersuchungen nahezukommen und durch die Kraft
eines sprachlichen Ausdrucks, welcher in ungewöhnlicher Art musikalische
Erlebnisse und Wertungen trifft und präzisiert. — Wir weisen bei dieser
Gelegenheit darauf hin, daß Bekker in letzter Zeit sein lange erwartetes,
grundlegendes Buch „Gustav Mahlers Sinfonien" und eine Sammlung
seiner großen Feuilletons unter dem Titel „Kritische Zeitbilder" hat er-
scheinen lassen; beide im Verlag Schuster und Löffler in Berlin.
^^V^enn wir die in den beiden letztvergangenen Iahrhunderten zurück-
^/H^gelegten Wege der musikalischen Gestaltungsart überblicken, so
zeigen sich zwei große, deutlich getrennte Entwicklungsgebiete: das
des polyphonen und das des homophonen Ausdruckes. Die Gegensätze sind
dem Prinzip nach nicht neu; sie waren schon im Mittelalter vorhanden,
wenn auch im einzelnen anders geformt. Allgemein gesprochen, ohne
damit bestimmte historische Umgrenzungen festlegen zu wollen, kann man
sagen, daß Zeiten mit vorwiegend religiös gerichtetem Geistesleben in
der Musik der Polyphonie, solche mit verweltlichter Interessenrichtung
der tzomophonie zuneigen werden. Die letzte große polyphone Kunst der
Neuzeit war die Musik Bachs. Die Polyphonie — Vielstimmigkeit —
ist eine Kunst der linear bewegteu Fläche. Das artistische Problem liegt
 
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