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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 8 (Maiheft 1922)
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Bekker, Paul: Die zwei Wege der Musik
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Popert, Hermann M.: "Wenn - - ": zu Hermann Poperts "vaterländischem Traum"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0097

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alles dies sind ins Begriffliche gewendete Ausstrahlungen des zutiefst
musikeigenen Problems unserer Gefühlsauffassung der Musik. Die Fragen
des Stiles, der Form, der klanglichen Fassung sind gleichfalls an sich
nicht primärer, entscheidender Art. Auch ihre Lösung ist bedingt durch
die Art, wie wir Musik als Phänomen an sich empfinden, aus welcher
Einstellung des Gefühles wir sie erfassen.

Wir sind Suchende. In dieser Tatsache des Suchens mag mancher
ein Zeichen zeitlicher Schwäche sehen. „Alles Neue und Originelle ge-
bieret sich von selbst, ohne daß man danach suchet", hat Beethoven gesagt.
Es war zweifellos richtig — für Beethoven, und wir dürfen, ohne uns
zu schämen, zugestehen, daß unter uns gegenwärtig kein Beethoven lebt.
Aber wir dürfen auch hinzusetzen, daß Kolumbus Amerika nicht entdeckt
hätte, ohne es zu suchen. Wir dürfen sogar weiter sagen, daß er eigentlich
etwas ganz anderes suchte als Amerika, daß er von diesem Erdteil gar
nichts wußte, ja daß er ihn in Wirklichkeit auch nicht entdeckt hat, sondern
einer Täuschung verfiel — und daß er doch die kühnste Entdeckernatur
war, vor deren Namen und Tat die Geschichte innehält. Was ihn trieb,
war der Zwang zur neuen Welt. In der Kraft, mit der er dieses Muß
des Zwanges zur Tat wandelte, lag das Entscheidende seiner Größe, nicht
im unmittelbaren reglen Ergebnis. Wir sind in der Lage der Kolumbus-
zeit. Die Säfte der alten Welt sind vertrocknet, sie stirbt, ihre gläubigen
Einwohner sagen es selbst, und wir müssen einsehen, daß sie recht haben.
Aber wir hängen nicht so an ihr, wir fühlen uns ihr nicht so verbunden,
daß wir mit ihr sterben wollen. Im Gegenteil, wir sind der Meinung,
daß sie wohl tut, zu sterben, weil ihre Zeit umAst und wir den Glauben
haben an die neue Welt, obwohl wir sie noch nicht sehen. In der Tat-
sache dieses Glaubens an das Unbekannte liegt etwas, das mehr ist als
lediglich negative Opposition gegen das Bestehende, etwas, das der bis-
herigen Zeit fremd war, uns ihr überlegen macht und uns die Aber-
zeugung gibt, daß die Fahrt sein muß, weil eben der Glaube es befiehlt.
Ob wir nun Indien auf dem andern Wege um die Welt erreichen, oder
vielleicht ein ganz neues Land, das können wir nicht sagen. Wir wissen
nur, daß wir fahren müssen, nicht aus Abenteurerlust, sondern unter
dem Gebot der inneren Verheißung. In der Erfüllung dieses Gebotes
liegt unsere Sendung. Paul Bekker

„Wenn-"

Au Hermann Poperts „vaterländischem Traum"*

sSoviel ich weiß, hat des Außenseiters tzermann Popert „Harringa"
unter allen jüngern Büchern irgendwie ähnlicher Art zum mindesten den
breitesten Erfolg gehabt. Zur Beruhigung unsrer Gestrengen von der
Literaturhistorie sei sofort nicht nur zugegeben, sondern betont: von einer
überragenden Höhe dichterischer Werte kam dieser Erfolg nicht.
Schnelle Erfolge von solchem Ausmaß haben aber ihren Grund nie in
ästhetischen Werten. So fragt man, wurde „Harringa" „von der Zeit ge-
tragen"? Es geht bei ihm um Reinheit und Selbstzucht, um Lebensverede-
lung, um Abstinenz vom Alkohol und von der Dirne — ach nein, der
„Harringa" arbeitete gegen den Zeitgeist. Dieses Dürerbundbuch kam
nahe an sein drittes Hunderttausend, wie sein Bewunderer Rosegger schrieb,

* Verlag Konrad Hanf, Hamburg.

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