Kunstwart und Kulturwart (35,2.1922)

Künstler, helft euch und uns!

^»^er Leser wundert sich über das Votivbild hier schräg gegenüber?
>^^Zwar, die Familienporträtchen darauf sind gar nicht übel, die
beiden Alten haben einen kunstverständigen Betrachter sogar an
tzolbein erinnert, aber freilich: die Madonna scheint reichlich konventionell,
nnd den Maler müßten wir wahrscheinlich zu den ganz unbekannten
auch dann zählen, wenn wir seinen Namen irgendwo fänden. Warum also
in unsern teuersten Zeiten der Aufwand dieses farbigen Blattes und
dabei noch zur Linleitung eines Kunstwartheftes? Deshalb, Freunde, um
die folgende Anregung wirksamer als allein mit dem Wort ins Gedächtnis
einzuhängen. Ihre Gedanken sind höchst einfach und daß sie zutreffen,
kann kaum bezweifelt werdeu, deun jeder Kunstmensch hat sie sozusagen im
Leibe. Aber sie haben Neigung, aus uus herauszuflitzen, und nichts wird
dem Menschen schwerer festzuhalten, als das, woran der Zeitgeist zupft,
weil es ihm zwischen seinen sonstigen Bestandteilen lästig ist. Der Zeit-
geist mit seinen Massenseelen hat ja ein ganzes System von Röhren und
Magneten, das immer dabei ist, dem Kapitalismus, den Moden oder soust
soziologischen Erscheinungeu zuliebe das Nrsprüugliche aus den einzelneu
Menschen zu saugen, — bis die ehemalige Persönlichkeit auch mit draußen
in der Luft schwankt, wie Wäsche.

Nnser Bild ist von s870. Es gibt dergleichen auch uoch spätere Votiv-
bilder, Marterln, Bauernbildnisse, Audachtbilder in Hinterglasmalerei und
Ahnliches. All das deutet auf die letzteu Ausläufer der Volksmalerei
überhaupt, die in deutschen Gaueu noch vor einem halben Iahrhundert


Iuniheft 1S22 jXXXV, 9)