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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Das Wunder im Konzertsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0021

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Das Wunder im Konzertsaal

s waren zwer Wunder auf einmal. Auf virtuoses Können glanbte
E ich mich gefaßt. Es ist längst keine Seltenheit mehr. Und auch

darauf, daß der Spieler verhüllt auftreten werde. Virtuos sein,
heißt seine Seele preisgeben. Eine brennende Seele, die heimlich
friert. Sie sucht sich den Mantel einer Haltung, einer Gebärde, die Neugier
und Zudrang der Menge von ihr fernhält. Stumpfere schelten es Pose
und Koketterie. In der seltsamen Luft des Konzertsaales aber fühlt es
auch der Stumpfe, wie sich die Menschenseele, die sich im Spiel ihm hin-
gibt, ihm dennoch unmerklich und doch so merklich entzieht — Geheimnis
der leisesten Sprache unseres Wesens.

Ich hatte lange kein virtuoses Spiel gehört. Nnd empfand plöhlich
aller Erwartung zum Trotz, als ob ich es nie empfunden, das unerhörte
Wunder, daß ein Herz, ein Kopf, zwei Arme und zehn Finger an einem
Flügel zaubern können. Sagt, was ihr wollt, es ist ein Zauber. Es
wirbelt und tollt, es marschiert und tiriliert, es rast und stöhnt, ächzt unter
Dämons Hauch und ruft die Arme der Götter herbei, es spiegelt diese ganze
sinnverwirrende Welt in ihrer stürmischsten Bewegung — und zwei Arme,
ein Kopf, ein Herz, zehn Finger entfesseln mühelos all diese Gewalten. . .
Das zweite Wunder aber? Nun, es war ein vierzehnjähriges Menschenkind,
dessen Kopf und Herz da Liszts brausendes, brennendes A-Dur-Konzert
aus sich herauswirbelten, dessen Arme und Hände den unerhörten Wei-
sungen einer so glänzenden wie schwierigen Partitur sich behende an-
schmiegten. Ein „Wunderkind" also? Aber was wäre daran zu lesen?
Ist doch dies schon oft genug geschehen, daß der oder jene in jugendlichstem
Alter das Unerwartete wahr machten, mit unbegreiflichem. Können die er-
staunte Menge hinrissen. Nein, nicht dieses war mein zweites Wunder.
Erst das, wie dieser Knabe auf wahrhaft unbegreifliche Art eine ganz
junge, ganz unvirtuosische, ganz reine, ganz weltoffene Seele durch das
raffinierteste der raffinierten Stücke hindurch dem hellen Ohr auftat und
daß neben Liszts Konzert und durch Chopins Impromptu hindurch — ein
Schicksal sich seltsam drohend, unheimlich rührend anzukündigen schien.
Atemlos habe ich diese Nebentöne vernommen, atemlos diese kleinen Ge-
bärden erblickt, atemlos vom Wehen eines Lebensgeschicks, benommen von
tausend Gedanken und Gefühlen. Und doch schien alles so einfach, so durch-
sichtig, so ergreifend natürlich. Wie wir derlei begreifen, wie es uns durch-
sichtig wird, uns sich aufdrängt mit der Unentrinnbarkeit bestimmtesten Ein-
drucks, — wer wagt es zu erklären? Ist es nur dies, daß ein helles Knaben-
gesicht offen sagt: wohl spiele ich nun Liszt und Chopin, aber seht, nicht
das ist mein innerstes Anliegen, ganz anderes vielmehr, nur ein mir
Nnbekanntes? ,

So schien mir dieses Gesicht, dieses ganz unvirtuosische Auftreten und
Sich-Halten zn sprechen. Aber deutlicher noch sprach so das Spiel selbst.
Hat docy jenes Klavierwerk des ungarischen Meisters die ganze Fülle der
Menschlichkeit in sich — und wo diese sehr junge Seele mitschwang, wo
sie ahnte, wo sie sich hingab, wo sie ungehemmt hineinklang, wo sie hin-
gegen stumm blieb und sich verschloß und verhärtete, diese unbewußte Aus-
wahl, die ein nur halb hingerissenes Inneres da traf, im Dämmer seiner
allzu früh herausgeforderten Selbstentfaltung, dies „sprach" von einem
Schicksal. Welches Wunder, daß wir hören, was nicht gesagt wird, daß

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