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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
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Schumann, Wolfgang: Das Wunder im Konzertsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0022

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alles schallt von Liszts Werk und vvn dem „Ereignis" des Abends, und
daß in fast unhörbaren Wellen sich durch die schwellenden Akkorde hin-
durch einer jungen Seele Suchen dennoch geheimnisvoll mitteilt. . . .

Und so habe ich mit ihr Zwiesprache gehalten: Sie sagte: dies ist mein
innerstes Anliegen nicht. Ich erwiderte: Nein, gewißlich nein! Sie: Und
doch schreit mein Können, meines Könnens Entfaltungwille nach diesem
und gerade danach! Ich: Sicherlich, und warum solltest du es ihm ver--
sagen? Sie: Weil es mich zerreißt, weil ich weiß, daß dies anders aus-
gefüllt, anders ausgeführt sein will, ich mache es richtig, und doch falsch,
bald reißt es mich hin zu fremdem Wirken, aber dann macht es mich un--
wahr . . . Ich: Wohl, aber du siehst diese Amwahrheit und damit ist sie
besiegt! Sie: Nicht besiegt. Vielleicht ist es nur Angst. Vielleicht ge-
wöhne ich mich. . . Ich: Es ist nicht Angst. Gewöhne dich nicht, liebe!
Dein Gefühl hat Recht! Sie: And was dann? Soll ich aufhören, in den
großen Sälen zu zaubern? Ich: Viele Worte täten not, mehr als viele.
Nicht aufhören, zu zaubern! Aber den Zauber bewähren an dem, was ganz
dein Anliegen ist, ganz dein. Suche es! es gibt davon. Doch ist dies nicht
alles. Immer wird es dich wieder hinziehen zu den Werken, die dich jetzt
noch beschweren. Du mußt ihnen gewachsen werden. And weißt du,
wis man dem Zauberspiegel gewachsen wird? Männer haben ihn gebildet
aus der ganzen vollen Kraft einer Seele, die stark genug war, die Welt in
sich zu schließen und in ihr Werk zu pressen. So stark mußt auch du
werden. Mußt lernen, die Welt in dir zu halten; sie, in dir eingeschlossen,
wird dir die Kraft geben, den Spiegel lebendig zu machen, nur
sie. . . Sie: Lernen? Kann ich denn lernen inmitten quallustvollen Ein-
spielens der Finger, der Arme, des Gedächtnisses, im Betrieb der Konzerte
und Reisen? Kann ich Schüler sein und, ah, all das Zeug einnehmen, das
sie den vielen eingeben? Die hundert Amwege der anderen geduldig mit-
gehen? Ich kann es nicht und sollte es doch vielleicht. .?

Nun aber erst sprach ich mein stärkstes Wort, und mir war, als müßte
er es hören, der da in ein Konzert hinein sein Schicksal spielte:

Du sollst es nicht. Sollst es nicht! Voll Recht freilich ist deine Klage.
So haben sie die Welt eingerichtet mit Schulen und Anstalten, wo sie
auf vielen Umwegen sich hineintasten, an alle haben sie gedacht, nicht an
euch, die ihr für sie alle euch preisgebt.

Als ich aber so sprach, füllte sich der Saal und hundert, tausend und
abertausend Seelen schwangen sich herein über das Schwirren der Geigen
und das Donnern der Bässe. Ich erkannte die Fingerfertigen alle, die
dem Flügel verschworen waren, erkannte Geiger und Geigerinnen, Tänzer
und TLnzerinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen und hörte den
Chor ihrer Rufe und Klagen und Anklagen: gemordet habe sie diese Welt,
ihr Bestes, ihr Innerstes lachend genommen und sich ein Schwelgen und
Schluchzen daraus gemacht, wie sie in die toten Worte und Klänge ihre
Seele hinein gepreßt hätten und sie hingegeben und darüber verkrüppelt
und leer geworden, friedlos und heimatlos und gottlos und weltlos, und
seien noch dazu mit Schande ausgestoßen worden aus dem Kreis und
hätten ihr bresthaftes Glück im dunkeln Winkel suchen gemußt . . .

So riefen sie und klagten und klagten an. Ich aber überschrie sie laut
und sagte ein starkes Ia zu allen ihren Worten, dann aber — der Knabe
am Flügel, ich sah es mit Schaudern, raffte all sein Innerstes in diesem
Augenblick und warf es geballt in eine schluchzende Melodie und dennoch

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