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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 11 (Augustheft 1922)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0337

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Vom tzeute fürs Morgen

Geschlecht des Äbergangs

^isenbahnfahrt durch deutsches Land.
^Blasse Kornfelder flehen mit sanf-
tem Zittern empor um reifende Son-
nenwärme. Schwermütige Kiefern hän-
gen dunkle Astarme ins schwindende
Abendlicht. Kleiue Seen träumen um-
schilft von Iahrhunderten, deren Zeugen
sie waren. Erde, tragende, dürstende,
zeugende, sonnenfrohe, gewitterfrohe
Erde atmet feuchtender Nacht entgegen.
Schritt um Schritt stemmen Ackergäule
die Schenkel in den Boden. Hinter ihnen
schreitet der Landmann.

Der Zug surrt vorüber, von der
Großstadt her, der Großstadt zu. Flüch-
tig streist der Blick das deutsche Land,

das ihm fremd ist-- und doch! den-

noch quillt es im Herzen: Ich Ahren-
feld! ich Kiefer! ich See! ich Erde,
sonnefroh und durstig! ich Gespann!
ich Bauer! meine Erde! meine Welt!
uah und fern! greifbar unü nie er-
griffen!. .

Hier schritt meines Vorvaters Vor-
vater, oder war es deiner, Bruder
neben mir? Gleichviel. Hier schritten
sie, vertraut mit Feld, Frucht und
Baum, Erdgefühls voll, der Wetter-
zeichen kundig, Tieren verwandt, auf
nährende Arbeit bedacht, Wandel und
Strom der Iahreszeit im festen Sinn,
Licht des Himmels im Auge, Atem des
Landes im Blut. Und wir, Brüder?
Iahraus, jahrein gleiten wir vorüber,
von der Großstadt her, der Großstadt zu,
schauen hinaus, werfen nnser Herz, un-
sere Sehnsucht hinaus, entänßern unser
Ich über das deutsche Land hin für Mi-
nuten, für Sekunden, im Lauf des Iah-
res für Minuten! und sterben; im
Schreibraum, in der Arbeitzelle, im
Gedankengemäuer, in Plänen, Sorgen,
Vorschau und Geschäft.

Ihr, Väter unserer Väter, sandtet
Kraft, vererbtet uns Kraft, dies zn dul-
den, daß wir Geschlechter von Millio-
nen führen müsscn durch die Wüste ent-
seelter Mühsal von Heute und Morgen,
durch die Meere dcr Bitternis ent-
geisteter Lebensdürre. Ihr segnctet mit
gespeicherter Kraft unser Blut, das in
Erinnerung schmerzhaft pocht — und

in Hoffnung sehnlich schlägt. Geschlecht
des Abergangs wir, zwischen Erinnerung
und Hoffnung im Eilzng der Ieit.

Ihr aber, Kommende, die ihr einst
wieder der Erde vermählt sein werdet
— und ihr werdet es sein! Gott will
nicht, daß seine Kinder enterbt in
der Schmach der steinernen Motdurft
schmachten für immer — ihr, gedenket
unser! Nicht gerührten Sinnes in weich-
licher Wehmut, weil wir, eure Väter,
uns euch opferten, den harten Bann
zweckhafter Arbeit brachen, aus Ein-
samkeit endlich hervortreten und in
wehem Bekenntnis einander Mensch
um Mensch, Bruder um Bruder los-
rangen und das Menschtum erlösten.
Gedenket unser, wenn zum andern und
zum dritten Male Dämonen euch locken
mit den glitzernden Bildern von Besitz,
Ehre, Macht und Gütern. Dann, wenn
ihr am Scheideweg steht, bescheidet euch
und gedenkt unser. Knrz war unser
Leben, ihr Kommenden, im Zwang der
Dämonen, Leben zwischen Erinnerung
und Hoffnung, ererbte Kraft verzeh-
rend, neue mühsam Zeugend, im Aber-
gang ausgeharrt. Weh dir, daß du ein
Enkel bist! stand über seinem Eingang.
And unsre besten Stunden schlugen,
wenn unser Blut dic Furchen der Zu-
kunft düngte uud wir euch aus üner-
loschenem Glauben zuflüstern dnrften:
Wohl dir, daß du ein Enkel bist!

Die Kunst, Recht zu behalten III
„IZnoratio elencbi"

as im letzten Abschnitt erwähnte Ab-
springen vom eigentlichen Gegen-
stande der Debatte ist eine absicht-
liche „IZnoratio slenclii", d. h. eine
Verkennung des eigentlichen Streit-
puukts. Es ist der verbreitetste und all-
gemeinste Fehl- oder Trugschluß, auf
den im Grunde sich viele andere zurück-
führen lassen. Z. B. auch die nuberech-
tigte Vcrallgemeineruug oder die falsche
Beziehung relativer Begriffe. Wenn
man etwa jemandem vorwirft, er ließe
wichtige Fälle unbeachtet, nur zu dem
Zwccke, unter allen Umständen mög-
lichst allgemeine Sätze zu erhalteu, und
wenn dann dieser — wie mir einmal

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